Dune Legenden 02 - Der Kreuzzug
Nun stand er dem Wurmreiter ganz allein gegenüber.
Selim fürchtete sich nicht vor Shai-Hulud. Er war dem Wurm viele Male entgegengetreten und wusste, welches Schicksal Gott für ihn ausersehen hatte. »Für einen Wurmreiter gibt es nur eine Art zu sterben, Naib Dhartha.«
Selim hatte sich alle Mühe gegeben, seiner Bestimmung zu folgen. Tief in seinem Herzen wusste er jedoch, dass er mit dem, was er tun würde, viel mehr erreichen würde. Er würde das Reich der Wirklichkeit verlassen und in die Regionen des Mythos eintreten. Die Geschichte von Selim Wurmreiter und seiner heiligen Taten würde über Jahrhunderte Bestand haben.
Dann tauchte ein drittes Ungeheuer aus dem Sand und erhob sich vor den flüchtenden Zensunni. Diese Geschöpfe besaßen ein ausgeprägtes Revierverhalten und drangen niemals in den Bereich eines Rivalen ein ... doch nun hatten drei von ihnen auf Selims Ruf gehört. Er bezweifelte, dass irgendein Mensch schon einmal etwas Derartiges beobachtet hatte.
Die Kanly-Krieger konnten dem dritten Wurm nicht entkommen. Das Tier schlug um sich und verschlang die Männer in einer aufgewirbelten Sandwolke.
Wie in Trance trommelte Selim weiter. Dhartha, nun der einzige Überlebende, schrie ihn an. Schließlich bebte der Sand unter seinen Füßen und kündigte die Ankunft des vierten und größten Wurmes an. Der Naib wandte sich zur Flucht.
Doch es war bereits zu spät.
Als die Düne unter ihm wegrutschte, fuhr Dhartha zu Selim herum. Unter ihnen tauchte Shai-Hulud auf – ein riesiges, gähnendes Maul voller Kristallzähne.
Mit einem einzigen Schluck nahm der Wurm tonnenweise Sand auf. Naib Dhartha glitt in den bodenlosen Abgrund.
Der Sandwurm stieg immer höher empor.
Selim hielt seine Trommel fest, während das Geschöpf wie ein Engel dem Himmel entgegenstrebte. Sein Maul stank, als wäre darin alle Melange des Wüstenplaneten konzentriert. Schließlich verschluckte die Bestie auch ihn.
Der Wurmreiter unternahm seinen letzten Ritt, als er durch den glühenden Schlund von Shai-Hulud die Reise in die Ewigkeit antrat.
* * *
Zuvor waren die missgelaunten Mitglieder der Gesetzlosen den Anweisungen ihres Anführers gefolgt und hatten in einer fernen Felsgruppe ein neues Lager aufgeschlagen. Mit schmerzendem Herzen war Marha zurückgeblieben. Sie spürte, wie das Kind in ihr heranwuchs, und fragte sich, ob das Baby jemals seinen Vater sehen würde. Ganz gleich, was geschah, sie schwor sich, dass das Kind alle Geschichten über Selim Wurmreiter hören würde.
Ihr Mann hatte ihr erklärt, was sie tun sollte. Es war nicht nach ihrem Geschmack gewesen, aber sie glaubte an Selims Mission. Für sie waren seine Visionen wahre Botschaften Gottes, und sie konnte sie nicht in den Wind schlagen, nur weil sie ihr nicht in den Kram passten.
Um Selim besser sehen zu können, hatte sie den Nadelfelsen erstiegen, eine hohe Spitze, die ihr einen weiten Blick über die Wüste erlaubte. Als sie vor vielen Jahren aus Naib Dharthas Dorf geflohen war und sich einen Weg durch die Wüste gesucht hatte, war der Nadelfelsen eine wichtige Landmarke für sie gewesen, weil sie nicht weit von Selims Höhlen entfernt lag. Nur wenige, die sich den Gesetzlosen anschließen wollten, schafften es bis hierher, ohne vorher von Selims Kundschaftern aufgelesen zu werden. Doch Marha hatte es geschafft.
Nun beobachtete sie Selim, der allein auf einer Düne saß, seine Trommel schlug und seine verhassten Feinde erwartete.
Keiner der fremden Söldner oder der Zensunni-Verräter hatte damit gerechnet, dass Selim eine solche Macht über Shai-Hulud besaß, dessen Zerstörungskraft die der Waffen der Soldaten bei weitem übertraf. Sie wurde Augenzeugin des Massakers, der rasenden Dämonen – insgesamt waren es vier! – und der Vernichtung der Feinde.
Dann verfolgte sie mit bangem Herzen und tiefer Mutlosigkeit, wie der größte Sandwurm von allen, eine Manifestation von Shai-Hulud persönlich, Selims lebenslangen Feind Dhartha verschlang ... und ihren geliebten Mann Selim.
Sie stieß das Geheul einer Witwe aus, dann verstummte sie und versuchte, ihren inneren Frieden wiederzufinden. Shai-Hulud hatten den großen Wurmreiter in sich aufgenommen, und nun würde Selim für immer als Teil ihres Gottes weiterleben. Ein angemessenes Ende für einen Mann – für einen Helden!
Und der perfekte Beginn für eine Legende.
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Menschen sind Sklaven ihrer Sterblichkeit, vom Augenblick ihrer Geburt an bis zum Augenblick ihres Todes.
Aus
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