Dungirri 01 - Schwarze Dornen
Menschen gesehen, die einander nicht in die Augen blicken konnten. Frauen, die ihre Ehemänner schief ansahen; Freunde, die einander nicht über den Weg trauten; und niemand wagte es, über das Unaussprechliche zu reden.
»Wenn sich jetzt auch noch herausstellt, dass Chalmers unschuldig war, dann macht das alles nur noch schlimmer«, überlegte er.
»Dan Chalmers hatte mit den Morden nichts zu tun.« Isabelle stand an der Tür, ihre Stimme war leise und bestimmt.
Alec wirbelte zu ihr herum. Der Blick ihrer grauen Augen brannte sich ernst und unerschütterlich in seine.
»Was macht Sie so sicher?« Er hegte denselben Verdacht,
doch er musste die Gründe für ihre Überzeugung wissen. Instinkt allein reichte nicht.
Sie kam ins Zimmer und nahm auf einer Stuhlkante Platz. »Alles, was ihn belastet hat, waren bestenfalls Indizien. Aber der Mann hatte sich von der Welt abgesondert, weil er das Leid nicht ertragen konnte, das er da sah. Er verabscheute jegliche Form von Gewalt. Er hätte nie jemandem etwas angetan, einem kleinen Mädchen am allerwenigsten.«
»Trotzdem kam er wegen des Mordes an Kasey vor Gericht.«
»Und wurde freigesprochen«, erinnerte sie ihn scharf. »Dabei hätte es überhaupt nie zum Prozess kommen dürfen.«
Damit hatte sie eindeutig recht, musste Alec eingestehen. Er hatte die Ermittlungsakten gelesen und über die Fadenscheinigkeit der Anklageschrift nur staunen können. Chalmers war der Letzte gewesen, der Kasey lebend gesehen hatte, und er hatte der Polizei unverzüglich von seiner Beobachtung berichtet. Ein durch nichts gerechtfertigtes Misstrauen und Vorurteile gegen jede Form des Außenseitertums hatten den Verdacht auf ihn gelenkt, und als die Polizei einige Tage darauf in seinem Haus Zeichnungen des Mädchens fand, nahm man ihn fest.
»Und wie erklären Sie die Bilder?«, fragte er.
»Er war Künstler, zum Kuckuck. Seine Arbeiten hängen in der Nationalgalerie. Er ist vor Jahren schon aus dem Kunstbetrieb ausgestiegen, aber mit dem Zeichenstift hat er verarbeitet, was seine Gedanken bewegte. Er hat auch gezeichnet, als Jess verschwand, weil seine Vorstellung ihm einfach keine Ruhe ließ, weil er immerzu daran denken musste, was ihr zugestoßen sein könnte.«
»Aber Sie müssen doch zugeben, dass da irgendeine Verbindung bestehen muss«, gab er nicht nach. »Chalmers wohnte in Jerran Creek, als Kasey dort verschwand. Und zwei Jahre darauf lebt er in Dungirri, wo Jess auf genau dieselbe Art entführt und ermordet wird.«
»Ich weiß …« Isabelle hielt einen Moment inne und dachte nach. »Ich kann es mir nur so erklären, dass der Mörder genau das ausgenutzt hat, dass er wusste, zumindest bei Jess, dass er es Chalmers in die Schuhe schieben kann.« Isabelle beugte sich vor. »Hören Sie, Tanyas Entführer muss derselbe sein, der auch Jess und Kasey entführt hat. Drei blonde Mädchen, alle in etwa gleich alt, alle verschwinden auf dem Heimweg von der Schule, es gibt weder Lösegeldforderungen noch Anhaltspunkte. Weder Jess noch Kasey wurden sexuell missbraucht, und die einzige Verletzung war bei beiden ein tödlicher Kopfschuss. Das ist nicht das gängige Muster einer Kindsentführung.«
Alec schloss sich ihren Überlegungen an. »Es besteht also kein sexuelles Interesse, es gibt keine Misshandlungen und auch keine Gewalttätigkeiten, bis es darum geht, die Mädchen wieder loszuwerden. Ihre Schlüsse?«
»Wir reden immer von einem Er, es könnte aber genauso gut eine Frau sein. Leicht verwirrt, instabil, vielleicht hält sie die Mädchen für jemand anderen - ein Kind, das sie verloren hat zum Beispiel -, und bringt sie dann um, wenn sie erkennt, dass dem nicht so ist?«
»Wäre denkbar …« Er versuchte, das im Geist durchzuspielen.
Sie beobachtete ihn. Seine Gedanken, mehr instinktiv als wohl durchdacht, spiegelten sich in seinen Augen. »Aber Sie glauben es nicht.«
»Im Augenblick dürfen wir keine Möglichkeit außer Acht lassen. Matthews, wir müssen wissen, wer ein Kind verloren hat - Todesfall, Adoption, was auch immer. Schicken Sie jemanden zum Standesamt …«
»Sparen Sie sich die Mühe«, sagte Isabelle. »Jeanie Menotti weiß es mit Sicherheit.«
»Hier geht es nicht um Dorftratsch …«
»Jeanie tratscht nicht. Die Menschen vertrauen sich ihr an, weil man sicher sein kann, dass sie nichts ausplaudert. Sie hat ihr ganzes Leben hier verbracht, kennt jeden Einzelnen, und wir können uns auf ihre Verschwiegenheit verlassen.«
»Ich werde sie herbitten«,
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