Dungirri 01 - Schwarze Dornen
selber ans Steuer musste, gestand sie ihm zähneknirschend zu.
Ein paar Kilometer östlich der Stadt stießen sie auf die Herde. Die Tiere hatten sich über die ganze Straßenbreite und die Grasstreifen zu beiden Seiten verteilt und bewegten sich gemächlich grasend voran, während Isabelle
sich im Schneckentempo einen Weg zwischen ihnen hindurchbahnte.
Unter einem Baum waren drei Pferde festgebunden, die dazugehörigen Viehtreiber saßen auf einem Baumstamm in der Nähe im Schatten und gönnten sich eine Pause. Sie hielt am Straßenrand und machte sich auf den Weg zu ihnen, ohne abzuwarten, ob Alec ihr folgte.
Trotz ihrer gespannten Konzentration stiegen Erinnerungen auf. Erinnerungen an die Zeit, als sie mit ihrem Vater unterwegs gewesen war, als sie das Vieh in Dürrezeiten für viele Wochen über die Nebenstraßen und Viehrouten von New South Wales getrieben hatten. Der Geruch der Rinder, der Pferde, von Sonne, Staub und trockenem Gras, all das weckte eine unerwartete Sehnsucht nach einem Leben, das seit Langem hinter ihr lag.
Die Viehtreiber beäugten sie, ihre Mienen wachsam, aber nicht feindselig. Sie wusste, dass die Männer vom Verschwinden des Mädchens gehört hatten, schließlich waren sie gestern im Ort gewesen und kurz befragt worden.
Sie kannte keinen der Treiber, aber sie fühlte sich ihnen verbunden, empfand eine Vertrautheit, die sie im Ort nicht gespürt hatte. Ein Teil der Schutzwälle, die sie um sich errichtet hatte, bröckelte, und sie ließ es kampflos geschehen.
Sie grüßte die Männer kameradschaftlich, wie es im Busch üblich war, und zeigte, während sie neben ihnen in die Hocke ging, beiläufig ihren Dienstausweis.
»Wie lange seid ihr schon unterwegs?«, erkundigte sie sich aus reinem Interesse.
»Um die zehn Wochen«, entgegnete einer. »Wir sind von Walgett rübergekommen. Da gibt’s keinen einzigen Grashalm mehr für die Viecher.«
Sie verstand und nickte. Selbst hier war die Dürre dramatisch, aber die Weiden in den Ebenen im Westen mussten mittlerweile reiner Staub sein. Man trieb die Herden nicht über Monate vor sich her - »die lange Weide abgrasen« nannten sie das -, wenn es sich irgendwie vermeiden ließ.
»Ich brauche eure Hilfe, um Tanyas Entführer auf die Spur zu kommen«, erklärte sie. »Wir müssen rausfinden, wo alle Leute gestern Nachmittag gesteckt haben. Wisst ihr noch, wer euch auf der Straße nach Birraga und später im Ort über den Weg gelaufen ist?«
Sie ließ die Männer in Ruhe überlegen, und nach und nach fiel es ihnen ein.
»Joe Ward - der ist mit seinem Lieferwagen los und dann wiedergekommen, dürfte vielleicht so, ich sag mal’ne halbe Stunde lang weg gewesen sein. Und die schräge alte Schachtel von der Farm’n paar Kilometer weiter, die ist nach Hause gegangen.«
Isabelle unterdrückte ein gequältes Lächeln. Sie wusste genau, wer damit gemeint war, und »schräge alte Schachtel« war keine schlechte Beschreibung.
»Der Bücherbus«, fügte einer der Männer hinzu. »Kann aber wirklich nicht sagen, wann genau das war - so gegen halb vier.«
»Stimmt, der kam gleich nach dem Schulbus mit den Grundschülern aus Dungirri«, fiel dem Nächsten ein.
»Ach, und dann war da noch dieser Unkrauttyp mit seinem Laster - wie heißt er gleich? Oldham? Hat auf ein Schwätzchen angehalten«, berichtete der Älteste. »Der Bus mit den Kindern von der Birraga Highschool muss dann so gegen Viertel nach vier durchgekommen sein. Sonst war da nur noch ein weißer Pick-up, den ich nicht
kannte, könnte ein Toyota oder Holden gewesen sein. Weiter fällt mir keiner ein.«
»Waren auf der Straße zum Festplatz irgendwelche Fahrzeuge unterwegs, als ihr die Rinder da hochgetrieben habt?«
»Keine«, lautete die entschiedene Antwort. »Wir hatten echt Glück - bis oben war völlig freie Bahn, und keiner hat die Viecher verschreckt.«
Es war genau, wie sie erwartet hatte, doch trotzdem spürte sie einen Stich der Enttäuschung. In einem Notizbuch hielt sie fest, was sie eben erfahren hatte, um es später mit bereits vorhandenen Aussagen abzugleichen. In dem unbekannten Pick-up konnte praktisch jeder gesessen haben: Weiße Pick-ups gehörten zum Landleben wie Akubra-Hüte und blaue Arbeitshemden.
»Habt ihr heute Nachmittag schon jemanden auf der Straße gesehen?«, wollte sie wissen.
»Heute Nachmittag? Eher nicht. Oldham hat noch mal auf’nen Schwatz angehalten, dann ist er auf die Weide da drüben gezogen, Unkraut besprühen. Ist erst vor’ner
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