Dungirri 01 - Schwarze Dornen
erbot sich Kris und marschierte zum Telefon im anderen Dienstzimmer.
Isabelle starrte grübelnd ins Leere, Alec saß auf der Tischkante.
»Und wenn es gar nicht um die Mädchen geht?«, fragte sie unvermittelt und richtete den Blick wieder auf ihn.
»Sondern? Ein Racheakt womöglich?«
»Könnte sein. Oder es ist eine Art … eine Art Spiel?« Er konnte ihre analytischen Denkprozesse regelrecht von ihrem Gesicht ablesen. »Jede Entführung sorgfältig geplant, sodass keinerlei Hinweise bleiben und wir nur im Dunklen tappen.«
»Er stellt uns auf die Probe, will uns beweisen, wie clever er ist.« Ja, das leuchtete durchaus ein. »Meinen Sie, es geht ihm um die Polizei ganz allgemein? Oder hat er jemand Bestimmten im Sinn?« Die Frage ließ ihm noch immer keine Ruhe: Hatte der Schütze Isabelle nur zufällig oder ganz gezielt angeschossen? Die Möglichkeit, dass jemand sie vorsätzlich ins Visier genommen haben könnte, war mehr als beängstigend.
Sie ließ sich die Frage durch den Kopf gehen, und die Falten auf ihrer Stirn wurden tiefer. »Wenn es ihm nur um eine Person geht, dann kann das eigentlich nur ich sein, oder? Nur …«, sie nagte an ihrer Unterlippe, »nur, dass ich keinen Grund dafür sehe. An der Ermittlung im Fall Kasey war ich überhaupt nicht beteiligt, und ich habe auch keine Beziehungen zu ihrem Heimatort. Wenn es wirklich eine Art Spiel ist, dann kann es nur als Kampfansage an die Polizei angefangen haben.«
»Aber Sie glauben, inzwischen steckt mehr dahinter?« Er beobachtete sie eingehend, und sein Bauchgefühl riet ihm, ihrer Einschätzung zu vertrauen.
»Ich kann es wirklich nicht sagen.« Sie wandte sich zu Kris um, die eben wieder ins Zimmer kam. »Die Wilsons … Wohnen die eigentlich immer noch in dem alten Holzhaus nördlich der Zwischenweide?«
Kris nickte.
»Was ist damit?«, wollte Alec wissen.
Isabelle sah ihm in die Augen, der Blick von Furcht getrübt. »Anfangs hielt ich es für reinen Zufall. Und ich hoffe noch immer, es steckt nicht mehr dahinter. Aber Tanyas Elternhaus - es ist das Haus, in dem ich aufgewachsen bin.«
3
S einem grimmig verkniffenen Mund konnte Isabelle entnehmen, dass diese Eröffnung Alec nicht weniger beunruhigte als sie. Kris wirkte richtiggehend entgeistert, was ebenfalls nicht dazu beitrug, ihren eigenen Seelenfrieden wiederherzustellen. Vielleicht war es ja nur Zufall - immerhin bestand die Ortschaft nur aus gut hundert Häusern. Eine einprozentige Chance, das war nun wirklich nicht ausgeschlossen. Nur sehr unwahrscheinlich.
Aber indem sie hier herumsaß und düsteren Gedanken nachhing, würde sie den Mörder nicht finden. Unvermittelt stand sie auf, sie wollte sich endlich wieder an die Ermittlung machen, Hauptsache, sie hatte etwas zu tun.
»Wir müssen uns jetzt darauf konzentrieren, Tanya zu finden. In welche Richtung zieht die Herde?«, fragte sie Kris.
»Nach Osten. Sie ist gestern über die Birraga Road gekommen. Nimm den Streifenwagen, wenn du willst.«
Isabelle fing den Schlüsselbund auf, den Kris ihr zuwarf. Alec legte die Stirn in Falten, aber das war ihr ganz egal. Sein Pech, wenn er es gewohnt war, immer das Sagen zu haben.
»Wir müssen uns mit den Treibern unterhalten«, sagte sie.
»Warum?«
»Die Bridge Street führt im Westen aus dem Ort und wird dort zur Straße nach Birraga. Auf diesem Weg ist gestern die Herde - mitsamt den Treibern - gekommen, vorbei am Truck Stop Café, dann ein Schwenk nach Norden, am Festplatz entlang und schließlich auf die Zwischenweide.«
»Derselbe Weg, den auch Tanya genommen hat.« Er verstand und nickte.
»Eine Herde von fünfhundert Rindern macht nicht gerade viel Tempo. Gut möglich, dass die Treiber etwas gesehen haben.«
Ganz automatisch steuerte sie auf die Fahrerseite des Wagens zu.
Alec, der die Hand schon auf den Griff der Beifahrertür gelegt hatte, zögerte. »Sind Sie sicher, dass Sie fahren können?« Er deutete mit dem Kinn auf ihre Schulter.
»Ja. Ist nicht weit.« Aus ihren Worten sprach mehr Zuversicht, als sie eigentlich empfand. Doch Vorsicht und Vernunft wurden von ihrem Dickkopf überstimmt und von dem Bedürfnis, die Situation wenigstens ein Stück weit unter Kontrolle zu haben und nicht nur untätig neben ihm zu sitzen.
Zum Glück diskutierte Alec nicht lange herum und nahm einfach auf dem Beifahrersitz Platz, während sie auf der Rückbank den Sicherheitsgurt in Finns Geschirr einrasten ließ. Immerhin war der Kerl nicht so ein Macho, dass er unbedingt
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