Dungirri 01 - Schwarze Dornen
nicht mehr zum Besten.«
Das flüchtige Gefühl von Erleichterung, das Isabelle gespürte hatte, wich nun Kummer und Schuldgefühlen. Wenn sie Jess letztes Jahr gerettet hätten … Sie schluckte schwer. Sie musste sich aufs Hier und Jetzt konzentrieren, auf Tanya.
»Wie steht’s mit Leuten, denen das Sorgerecht für ein Kind entzogen wurde? Oder gibt es vielleicht jemanden, der ein Baby zur Adoption weggeben musste?«
Jeanie dachte lange nach. »Wie schon gesagt, soweit ich weiß, ist auch von denen niemand mehr in der Gegend. Barbara Russell bekam ein Baby, ein Jahr nachdem sie mit der Schule fertig war. Ein Mädchen, glaube ich, und das wurde adoptiert.«
»Davon habe ich gar nichts mitbekommen«, sagte Isabelle. »Sie ist so alt wie ich, und wir sind zusammen zur Schule gegangen, aber nachdem ich von hier fortging, hatte ich praktisch keinen Kontakt mehr zu ihr und den anderen.«
»Ach, ihre Eltern sind furchtbar altmodisch und wollten nicht, dass jemand davon erfährt. Sie haben sie fortgeschickt, damit sie das Baby woanders bekommt, und sie dann dazu gedrängt, es wegzugeben.«
»Weißt du, wo Barbara jetzt lebt?«, fragte Kris.
»Sie wohnte in Sydney, aber letztes oder vorletztes Jahr ist sie gestorben. Krebs, soweit ich weiß - es ging sehr schnell.«
»Und ihre Eltern?« Kris klopfte mit dem Stift auf ihren Notizblock. »Die leben noch hier. Wäre es möglich …? Ich meine, sie haben Tochter und Enkelin verloren - vielleicht haben Schuld und Reue sie zum Äußersten getrieben.«
Instinktiv war Isabelle klar, dass das nicht passte, aber es dauerte einen Moment, bis ihr der Grund bewusst wurde. »Barbara war dunkelhaarig. Die entführten Mädchen waren alle blond. Wenn man schon versucht ein Kind zu ersetzen, dann müsste doch zumindest eine gewisse Ähnlichkeit vorhanden sein.«
»Das ergibt Sinn«, meinte Kris. »Und die Russells - also ich kann mir keinen der beiden bei so etwas vorstellen. Außerdem sind beide nicht mehr sonderlich mobil.«
»Es ist äußerst unwahrscheinlich, dass es einer von ihnen war«, pflichtete Isabelle bei. »Fällt dir sonst noch jemand ein, Jeanie?«
»Sonst wüsste ich niemanden. Tut mir leid, dass ich keine große Hilfe war …« Unvermittelt brach Jeanie ab und schlug sich die Hand vor den Mund.
»Was?«, fragte Isabelle.
»Mir ist eben jemand eingefallen, der ein Baby hatte - das ist schon Ewigkeiten her, als es noch diese Heime für gefallene Mädchen gab; die Babys wurden dort grundsätzlich zur Adoption freigegeben.«
»Wer?«
»Das würde sie nicht … Nein, ich bin sicher, das könnte sie nicht …«
»Wer, Jeanie?« Isabelle beugte sich vor. »Es könnte wichtig sein.«
Einen kurzen Moment lang sah Jeanie ihr in die Augen, dann senkte sie den Blick und presste die abgearbeiteten Hände auf dem Tisch fest aneinander. »Es ist Delphi.«
Isabelle starrte sie an, als habe sie behauptet, der Himmel sei grün, und der Schock erschütterte ihren ganzen Körper. » Delphi ? Delphi hatte ein Kind?«
Nicht weniger erstaunt fügte Kris hinzu: »Du machst Witze!«
»Nein. Das war lange vor deiner Geburt, Bella. Es ist fünfzig Jahre her oder länger. Sie war damals vielleicht achtzehn oder neunzehn.«
»Teufel.« Isabelle schüttelte den Kopf, um den verwirrenden Nebel so weit zu lichten, dass diese Eröffnung fassbar wurde. Kein Wunder, dass Jeanie gezögert hatte - und hätte irgendjemand anders als Jeanie das behauptet, sie hätte es niemals geglaubt.
Sie stieß den Stuhl zurück und ging durch den Raum zu Alec hinüber.
»Es gibt jemanden, den Sie vernehmen müssen. Sie hat gestern ungefähr zum Zeitpunkt von Tanyas Verschwinden den Ort über die Landstraße nach Birraga verlassen. Die Viehtreiber haben sie gesehen. Und sie musste vor Jahren ein Kind zur Adoption weggeben.«
Sie hörte Kris neben sich, spürte eine einfühlsame Hand auf ihrem Arm. »Es war bestimmt nicht Delphi, Bella. Ich meine, klar, sie kann manchmal schon ziemlich seltsam sein, aber …«
»Aber wir wissen alle, dass sie eine Einsiedlerin ist, die einen Groll hegt und Männer oder Autoritätspersonen nicht ausstehen kann - und auch so gut wie niemanden sonst«, beharrte Isabelle, deren Gewissen sie zwang,
die Wahrheit zu sagen, während ihr Instinkt sich mit aller Kraft gegen den Verdacht wehrte.
»Und wer ist diese ominöse Delphi?«, wollte Alec wissen.
»Philadelphia O’Connell. Sie ist … die Schwester meines Vaters.«
So seltsam ihre Tante auch war, Isabelle hegte
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