Dungirri 01 - Schwarze Dornen
ein, von dem Isabelle ihm eben erzählt hatte. Die Frau vor ihm glich wirklich einem Mäuschen - zierlich, mit großen, braunen Augen, die jetzt rot gerändert waren, in einem niedlichen Gesicht. Sie trug ein adrettes, blaues Sommerkleid und darüber eine Baumwollschürze, die, von ein paar Mehlflecken
abgesehen, absolut sauber war. Ihr Blick huschte von ihm zu Isabelle, und böse Vorahnungen ließen das Blut aus ihrem Gesicht weichen.
»Bella! Gibt es etwas Neues?«
Rasch schüttelte Isabelle den Kopf, und zu Alecs Verblüffung strich sie ihr leicht über den Arm. Ihre sonst so verschlossene Miene wurde weicher. »Noch nicht, Beth. Wir wollten uns nur kurz bei euch melden. Das ist Detective Chief Inspector Alec Goddard. Er kommt aus Sydney und leitet die Ermittlungen.«
»Es tut mir leid, dass wir uns unter diesen Umständen kennenlernen, Mrs. Wilson«, sagte Alec, statt sich mit der üblichen Floskel nach ihrem Befinden zu erkundigen. Es war offensichtlich, wie es ihr ging - sie war erschöpft von der Sorge und einer schlaflosen Nacht und litt Todesängste um ihre Tochter.
»Kommen Sie doch bitte herein«, sagte Beth, deren sanfte, zurückhaltende Würde nichts Mäuschenhaftes mehr hatte.
Im Wohnzimmer, in dem ein gemütliches Durcheinander aus Spielzeug, Büchern und Krimskrams herrschte, wartete Ryan Wilson im Rollstuhl, auf seinen Schoß gekuschelt schlief ein etwa fünfjähriges Mädchen. Auf dem Sofa lag ein weiteres Kind, ein Baby, den Daumen im Mund und ein abgewetztes Stofftier im Arm.
Alec schnürte es die Kehle ab. Kleinigkeiten überall im Raum verrieten ihm, was für eine liebevolle Familie er vor sich hatte. Der Kaminsims präsentierte stolz Fotos von jedem der Mädchen, an den Wänden hingen sorgsam gerahmte Kindergemälde, dazu in einer Vitrine ein blaues Band und eine Ehrenurkunde über den ersten Platz in der Schulaufführung in Birraga.
Irgendein Dreckskerl setzte sie der schlimmsten aller Qualen aus, und Alec unterdrückte die Wut, die bei diesem Gedanken in seinen Eingeweiden aufloderte.
Isabelle begrüßte Ryan und stellte ihm Alec dann, wie zuvor Beth, mit vollem Dienstgrad vor.
»Kris Matthews hat uns schon erzählt, dass jemand aus Sydney geschickt wurde. Vielen Dank, dass Sie bei uns vorbeikommen.«
Ryans Händedruck war fest, aber der Tonfall seiner höflichen Begrüßungsworte verriet mehr als nur eine Spur von Anspannung. Alec bewunderte ihn für seine Fassung und war sich nicht sicher, ob er sie unter diesen Umständen selbst hätte aufbringen können.
Ryan war groß, wahrscheinlich ebenso groß wie er selbst, wenn er hätte stehen können. Schultern und Brust waren so breit und kräftig, dass jede Rugbymannschaft ihn mit Freuden aufgenommen hätte. Der Bartschatten und die schiefe Nase, die anscheinend einmal nähere Bekanntschaft mit einer Faust gemacht hatte, ließen erahnen, dass sein Leben nicht immer ruhig und friedlich verlaufen war, doch mit dem linken Arm umfing er die Tochter zärtlich und beschützend.
Kategorisch schloss Alec jeden Gedanken daran aus, dieser Mann könne etwas mit der Entführung seiner eigenen Tochter zu tun haben. Es gab Väter, die zu so etwas fähig waren, aber nicht dieser. Und diese Einschätzung bezog sich nicht allein auf die körperlichen Möglichkeiten.
»Kann ich Ihnen etwas Kühles zum Trinken anbieten, Detect… Inspect…, entschuldigen Sie, ich weiß nicht, wie ich Sie richtig ansprechen muss.« Beth ließ sich von dieser Kleinigkeit völlig verunsichern und lief rot an.
»Nennen Sie mich einfach Alec. Und ja, gerne, etwas Kühles wäre wunderbar, wenn es nicht zu viel Mühe macht.«
»Nein … Ich wollte sowieso gerade etwas holen.«
»Ich helfe dir«, bot Isabelle ohne zu zögern an und streichelte noch einmal voll stillem Mitgefühl Beths Arm.
Ryans zärtlicher Blick ruhte auf seiner Gattin, als die beiden Frauen in die Küche gingen.
»Bella hat sich schon auf der Schule immer um Beth gekümmert«, sagte er leise. »Ich bin froh, dass sie jetzt für sie da ist.« Er deutete auf den alten Lehnsessel mit der fröhlich bunten Häkeldecke, unter der ein Stück des abgewetzten Bezugs zu sehen war. »Bitte, setzen Sie sich doch. Gibt es schon Neuigkeiten?«
»Bis jetzt leider nichts von Bedeutung.« Alec wählte seine Worte mit Bedacht. »Mr. Wilson, wir können immer noch nicht völlig ausschließen, dass Tanya sich verlaufen hat, deshalb werden die Freiwilligentrupps weiter suchen. Aber da wir sie bis jetzt nicht gefunden
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