Dungirri 01 - Schwarze Dornen
Lichtung begann sie zu taumeln, die Welt drehte sich, und das Blut hämmerte in ihrem Kopf.
Alec kam zu ihr und schob seine Hand unter ihren Ellenbogen.
»Ich habe immer auf Melinda aufgepasst, wenn Joe und Mary abends mal weggingen«, berichtete sie und wusste, dass das überhaupt nicht hierhergehörte, aber sie musste Joe wenigstens vor ihrem geistigen Auge heil vor sich sehen. »Er war vielleicht nicht der allerbeste Mensch, aber … das hat er nicht verdient.«
»Niemand verdient das«, erwiderte Alec, und die tiefe Aufrichtigkeit in seiner Stimme half ihr, die unerwartete Trauer mit Entschlossenheit zu überdecken.
Steve stand ein Stück abseits, sein Gesicht war weiß, und er wirkte verstört. Mit einer verbitterten Miene, wie sie sie noch nie gesehen hatte, näherte Adam sich der Leiche mit vorsichtigen Schritten, um keine Spuren zu vernichten.
»Ein Kopfschuss«, sagte er nach ein paar Augenblicken. »Sein Gewehr liegt neben ihm. Im Sand sind Hundespuren.«
Alec ging neben Adam in die Knie und betrachtete die Leiche mit Respekt und professioneller Gründlichkeit, als sähe auch er hier den Menschen Joe und nicht den grauenvollen Kadaver.
»Gibt es Spuren von einer weiteren Person?«, fragte er.
Adam zuckte die Achseln. »Schwer zu sagen. Nach den Hunden sowieso.«
»Also glauben sie nicht, dass er nur hierhergekommen
ist, um sich zu erschießen?«, warf Steve ein, doch es war eine Frage, keine Herausforderung.
»Er ist fünfzig Kilometer durch den Busch gefahren«, erwiderte Alec und dachte über die Frage nach. »Dann ist er eine Stunde lang durch unwegsames Gelände bis hierher marschiert. Hätte er einfach nur nach einer abgelegenen Stelle gesucht, um sich umzubringen, dann hätte er wohl kaum den weiten Weg auf sich genommen, noch dazu in einer geraden Linie.«
Ein kurzer Windstoß fuhr durch die schweißnassen Strähnen an Isabelles Hals, und sie rieb mit der Hand über die schlagartig fröstelnde Stelle. Sie teilte Alecs Einschätzung, und das bedeutete, Joes Mörder war womöglich immer noch hier und lag zwischen den Bäumen auf der Lauer und beobachtete sie.
Sie waren eine Stunde Fußmarsch von ihrem Wagen entfernt, und selbst wenn sie Verstärkung anforderten, würde es fast zwei Stunden dauern, bis sie eintraf. Misstrauisch spähte sie über den Rand der Lichtung.
»Wir müssen das Gebiet absuchen«, sagte sie. »Joe kam aus einem ganz bestimmten Grund hierher, und den müssen wir finden.«
Alec nickte, den Mund zu einem Strich zusammengepresst. »Ich werde die Spurensicherung anfordern und einen zusätzlichen Trupp hier rausbeordern.«
Er griff nach dem Funkgerät, doch alles, was es hervorbrachte, war ein knisterndes Rauschen.
»Wahrscheinlich sind wir zu weit unten für das Signal«, vermutete Adam. »Der Empfang ist hier draußen lückenhaft. Auf dem Hügel da vorn müsste es funktionieren.«
Er deutete auf eine Erhebung, die östlich von ihnen durch die Bäume gerade noch zu erkennen war. Eine
Felsformation an der Hügelflanke kam Isabelle vertraut vor, und sie drehte sich einmal um die eigene Achse, aufmerksam die Lichtung betrachtend.
»Bella? Was ist?« Alecs Frage schien von weither zu ihr zu dringen.
»Hier haben wir gezeltet, Dad und ich. Genau hier, auf dieser Lichtung. Wir sind hergeritten, über den alten Weg im Süden.« Deshalb hatte sie die Lichtung auch nicht gleich wiedererkannt. Der andere Zugang und die Veränderung über die Jahre. Etliche der majestätischen alten Eukalyptusbäume waren abgestorben, und schneller wachsende Zypressen hatten die jungen Eukalypten zurückgedrängt, sodass sich das Gleichgewicht verändert hatte und die Lichtung kleiner geworden war. Aber im Geiste sah sie alles genau vor sich: den gewaltigen nächtlichen Sternenhimmel, die Silhouetten des Vaters und ihres Gastes am kleinen Lagerfeuer, den Widerschein des Lichts auf dem schlohweißen Haar des alten Mannes. Den Duft von Rauch, Tee aus dem Kessel und Vaters Pfeife; die tiefen Stimmen der beiden Männer, das leise Wiehern der in der Nähe angebundenen Pferde.
Damals war alles gut gewesen, so sicher, und nun war alles anders. Fliegen umschwirrten den toten Joe, und sicher war hier überhaupt nichts.
»Der alte Charlie …« Sie sah Alec an. Sie musste sich darauf konzentrieren, das Nötige zu sagen, anstatt sich zu übergeben oder zu schreien oder beides. »Seine Hütte war ganz in der Nähe. Und der Wasserlauf und die Quelle liegen gleich hinter dem Hügel. Aber er kann doch
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