Dungirri 01 - Schwarze Dornen
war nichts, wie erwartet, nur … nur ein dunkelblaues Haarband, das er beinahe übersehen hätte, zusammengeknüllt lag es ganz hinten in der Ecke auf dem grob gezimmerten Boden.
Er zog einen Asservatenbeutel aus der Tasche und holte das Band ans Tageslicht, als Adam gerade zurückkam.
»Sie war hier«, erklärte er. Er brauchte das Haarband nicht, um das zu wissen. Sie alle nicht. Welchen anderen Grund hätte es geben können für eine neu errichtete Schäferhütte mitten im Nirgendwo?
»Er hat sie heute Morgen auf einem Pferd weggebracht«, sagte Adam mit derselben Bitterkeit und Enttäuschung über das eigene Versagen, die auch Alec empfand. »Ganz in der Nähe ist ein Pferch, da hat er das Pferd die letzten Tage gehalten. Ich habe die Fußspuren des Mädchens gefunden.«
Steve fluchte. »Wir hätten doch gestern Nacht schon kommen sollen.«
Derselbe Gedanke hämmerte in Alecs Kopf. Und wenn sie es getan hätten? War er schuld, weil er gestern Nacht nicht befohlen hatte, die Suche nach Ward fortzusetzen?
»Wir hätten Joes Weg nicht sehen können.« Bellas vernünftige Argumentation durchdrang seine Zweifel. »Außerdem
hätten wir ein leichtes Ziel abgegeben, wenn wir völlig erschöpft durch die Nacht gestolpert wären. Und wir hätten diesen Platz nie und nimmer entdeckt.«
Wahrscheinlich hatte sie recht. Dieses »Was wäre, wenn« brachte sie jedenfalls kein Stück weiter. Er konzentrierte sich wieder ganz aufs Hier und Jetzt. »Wie viel Vorsprung hat er, Adam?«
»Ungefähr zwei Stunden. Mehr als genug Zeit, um mit dem Pferd zu irgendeiner Piste zu reiten, wo er möglicherweise einen Wagen abgestellt hat.«
Alec schluckte den Frust hinunter. Nur um zwei lausige Stunden hatten sie Tanya verfehlt.
»Hat es irgendeinen Sinn, die Verfolgung aufzunehmen?«
Adam versenkte die Hände in den Hosentaschen und schüttelte den Kopf. »Er könnte inzwischen überall sein. Er ist uns um Stunden voraus, und wir sind zu Fuß.«
Alec ließ den Blick über die drei schweifen. Sie waren mehr als eine Stunde von ihrem Wagen entfernt und hatten keinen verlässlichen Funkempfang. So fit sie körperlich auch waren, an den dunklen Ringen unter Bellas Augen, der Gereiztheit von Steve und Adam und an den Schultern, die unter dem Gewicht der Rucksäcke immer weiter herabsanken, sah man sehr deutlich die auszehrende Wirkung der sengenden Hitze und der unablässigen seelischen Belastung.
Sie würden weitermarschieren, ganz gleich, wie erschöpft sie auch waren, aber er war nicht gewillt, das Leben seiner Leute aufs Spiel zu setzen, wenn keine vernünftige Verstärkung in Aussicht war.
»Na gut, wir kehren zum Wagen zurück. Ich benachrichtige jetzt gleich die Spurensicherung und gebe die
Koordinaten von Joes Leiche und dieser Lichtung durch. Schätzungsweise dürften wir sie unterwegs treffen.«
»Wir geben auf?« Steves Protest fehlte der gewohnte Eifer.
»Nein, wir kehren nach Dungirri zurück, um die neu gewonnenen Informationen zu verarbeiten.«
Schon möglich, dass das Schönfärberei war, aber Alec ging davon aus, dass sie jetzt alle einen Motivationsschub brauchten, um den einstündigen Rückmarsch zur Straße zu bewältigen.
»Tanya ist am Leben«, sagte Bella, als könne sie seine Gedanken lesen. »Und da wir jetzt wissen, dass Joe nicht der Täter ist, müssen wir alle seine Beziehungen abklopfen.«
Bei den letzten Worten zitterte ihre Stimme, und sie wandte den Kopf ab und verdeckte mit der Hand das Gesicht, als sie ihren Hut zurechtrückte. Alec hoffte inständig, dass nicht noch mehr von ihren Bekannten als Tatverdächtige ausschieden, indem sie ermordet wurden.
Er griff nach der Wasserflasche, trank einen Schluck und suchte nach einer optimistischen Aussicht, um ihre Moral zu heben.
»Der Täter geht inzwischen mit Sicherheit nicht mehr nach einem präzise ausgearbeiteten Plan vor«, sagte er. »Auch wenn er uns noch immer einen Schritt voraus ist, er muss jetzt improvisieren.«
»Und damit steigen die Chancen, dass er einen Fehler macht und vor lauter Arroganz übermütig wird«, ergänzte Bella.
»Genau.«
Keiner von ihnen wagte es, die zweite Konsequenz auszusprechen: nämlich dass ein übertrieben selbstsicherer,
unvorsichtiger Mörder völlig unberechenbar und damit weitaus gefährlicher war als ein vorsichtiger.
Zwei Stunden später starrte Isabelle im Gemeindesaal auf die Namen, die locker gruppiert auf der Tafel standen. Menschen ohne Alibi. Menschen mit unterschiedlichen Vorstrafen.
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