Dunkel - Hohlbein, W: Dunkel
ungebremst gegen die Wand, die das untere Ende des Treppenschachtes begrenzte, und taumelte nach rechts. Düsteres Licht, ein niedriger, mehrfach unterteilter Gewölbekeller, der gerade genug Platz für zwei oder drei roh gezimmerte Tische und eine im gleichen Stil gehaltene Theke bot, hinter der ein Mann mit verschlafenem Gesicht und einem Geschirrtuch in der Hand stand. Der Junge verschwand genau in diesem Moment hinter der einzigen Tür, die es außer dem Eingang noch im Raum gab.
»Tut mir leid«, begann der Typ hinter der Theke, »aber wir haben eigentlich noch nicht –«
Jan ignorierte ihn einfach, raste im Sturmschritt durch den Raum und stieß die Tür auf, hinter der der Junge verschwundenwar, und fand sich in einer winzigen, fensterlosen Toilette wieder.
Er war allein. Der Raum maß nicht einmal ganz anderthalb Schritte im Quadrat und bot gerade Platz für ein schäbiges Toilettenbecken und ein Waschbecken aus Metall, dessen Emaillebelag an zahlreichen Stellen abgeplatzt war. Die Wände bestanden aus den gleichen unverputzten Ziegelsteinen wie das Gewölbe draußen, und es gab nicht nur keine weitere Tür, sondern überhaupt keine Lücke, die groß genug gewesen wäre, irgend etwas hinauszulassen, das wesentlich größer als ein Silberfischchen war.
Jan sah sich vollkommen fassungslos um. Was er sah, war absolut unmöglich. Er konnte sich nicht getäuscht haben. Der Junge war hier hereingelaufen, und das vor nicht einmal zwei Sekunden.
Verwirrt drehte er sich einmal im Kreis, hob die Hände und tastete das Mauerwerk ab. Er kam sich ziemlich albern dabei vor. Natürlich gab es hier keine Geheimtüren oder sonst etwas. Selbst wenn – die Zeit hätte für den Jungen einfach nicht gereicht, durch irgendeine geheime Tür oder Klappe zu verschwinden und sie hinter sich wieder zu schließen. Der Junge hatte sich buchstäblich in Nichts aufgelöst. Es war unmöglich, aber es war so.
Obwohl er sich mittlerweile mehr als lächerlich vorkam, untersuchte er auch noch den Fußboden. Der bestand aus grob zusammengefügten, äußerst massiven Dielen. Wenn es eine versteckte Klappe oder so etwas gab, dann war sie perfekt getarnt. Außerdem hätte sie allenfalls für eine Katze oder einen nicht allzu großen Hund gereicht.
Verwirrt richtete sich Jan wieder auf, drehte sich um und verließ die Toilette. Der Wirt stand noch immer hinter der Theke und polierte an einem Glas herum. Er sah ihm mit schräggehaltenem Kopf und leicht mißtrauischem Gesichtsausdruckentgegen, aber in seinen Augen stand ein eher amüsiertes Glitzern.
»Das war aber eilig!« meinte er grinsend. »Eigentlich ist diese Toilette für das Personal. Aber wenn die Natur ruft …«
»Ja«, antwortete Jan verwirrt. »Ich … es tut mir leid.«
»Schon gut. Man ist ja schließlich Mensch. Aber trotzdem: Wir öffnen erst in einer halben Stunde.«
»Sie meinen, ich soll wieder gehen«, entgegnete Jan. Seine Gedanken rasten. Der Mann hinter der Theke hatte den Jungen ganz offensichtlich nicht gesehen. Vielleicht hatte ihn niemand gesehen. Vielleicht hatte es ihn gar nicht gegeben …
»Na, wenn Sie schon mal da sind …« Der Wirt hörte auf, an seinem Glas herumzupolieren, und hob lächelnd die Schultern. »Ein Pils?«
Jan setzte sich. Der Wirt nahm dies als Zustimmung und begann mit geschickten Bewegungen ein Bier zu zapfen.
Jan seufzte und stützte die Ellbogen auf den Tisch. »Ich wollte wirklich nicht so einfach hier reinplatzen«, sagte er. »Die Tür oben war offen. Ich bin hier mit jemandem verabredet … glaube ich.«
»Glauben Sie?«
»Ich bin nicht ganz sicher«, gestand Jan. »Meine Bekannte sagte etwas von einem Lokal am Marktplatz, mit einem Kellergewölbe.«
»Davon gibt es hier ungefähr ein halbes Dutzend.« Der Wirt strich den Schaum vom Bier, zapfte nach und kam damit an Jans Tisch.
»Ein halbes Dutzend?«
»Mehr oder weniger.« Er machte eine entsprechende Handbewegung. »Dieses Gewölbe stammt noch aus der Römerzeit. Jedes zweite Lokal hier hat so einen Gewölbekeller. Wahrscheinlich sogar jedes. Nur haben es manche noch nicht gemerkt.«
Er ging zur Theke zurück, zapfte sich ein zweites Bier und nippte daran. »Sie sind nicht aus Neuss, was?«
»Ich bin nicht hier geboren, wenn Sie das meinen«, antwortete Jan. »Aber ich lebe seit mehr als zehn Jahren hier.« Er trank ebenfalls von seinem Bier – es schmeckte scheußlich, aber mit neu erwachter Neugier sah er sich in dem niedrigen Keller um. Er konnte nicht sagen, ob
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