Dunkel - Hohlbein, W: Dunkel
Eine ganze Menge sogar.« Er stand auf. »Ich glaube nicht, daß Sie etwas mit Mertens’ Tod zu tun haben. Aber ich weiß, daß Sie mir etwas verheimlichen. Das alles hier ist doch kein Zufall. Ich gebe Ihnen Zeit bis morgen früh, danach erwarte ich Sie in meinem Büro.« Er sah sich demonstrativ im Zimmer um. »So lange werden Sie wohl allein brauchen, um hier aufzuräumen, fürchte ich. Sie sagen, Sie haben einen Verdacht, wer das war?«
»Vera«, sagte Katrin düster. Sie zögerte einen Moment,dann fügte Sie leiser und fast widerwillig hinzu: »Wann genau, sagten Sie, wurde Dr. Mertens umgebracht?«
»Die genaue Todeszeit steht noch nicht fest.« In Kriegers Augen erwachte schon wieder dieses gewisse Funkeln, von dem Jan immer noch nicht ganz sicher war, ob es sich nun um Mißtrauen oder einfach nur um Abneigung handelte. »Aber es muß kurz vor oder nach Mitternacht gewesen sein. Warum?«
Katrin sah Jan an, als sie antwortete. »Vera. Sie ist erst nach Mitternacht nach Hause gekommen – erinnerst du dich?«
Was für eine Frage. Er nickte.
»Sie war verletzt.«
»Verletzt?« Krieger wurde hellhörig. »Wie?«
»Sie hat behauptet, es wäre ein Unfall gewesen«, sagte Katrin. »Gestern nacht habe ich ihr geglaubt. Aber jetzt … Ich kann mich täuschen, aber es hat so ausgesehen, als … als hätte sie mit jemandem gekämpft.«
»Gekämpft?« Krieger runzelte die Stirn, schüttelte ein paarmal den Kopf und setzte sich wieder.
»Na, dann erzählen Sie mir mal von dieser Vera«, sagte er.
Sie brauchten bis spät in den Abend hinein, um die Wohnung wenigstens wieder in einen halbwegs bewohnbaren Zustand zu versetzen.
Krieger war noch eine gute halbe Stunde geblieben, hatte eine Menge Fragen gestellt und sich noch mehr Notizen gemacht, und er war erst gegangen, nachdem seine Kollegen vom Einbruchdezernat aufgetaucht waren; eine regelrechte Invasion, die in halber Kompaniestärke über sie hereingebrochen war und sich alle Mühe gegeben hatte, die Verheerung komplett zu machen. Mit dem erwarteten Ergebnis: keinem. Wenn der Einbrecher Spuren hinterlassen hatte, dann waren die in dem allgemeinen Durcheinander unauffindbar.
Es gab einen kleinen Trost: Der Eindringling war gründlich,aber nicht besonders wählerisch gewesen. Er hatte alles zerstört, was ihm in die Finger geraten war, ohne auf seinen Wert zu achten. Das Wohnzimmer und die Küche waren praktisch vollkommen zerstört, aber sein Arbeitszimmer und – vor allem – die Dunkelkammer waren glimpflich davongekommen. Der Eindringling hatte zumindest die wertvollsten Geräte verschont. Jan war jedoch einfach nicht mehr in der Stimmung, sich darüber freuen zu können.
Katrin hatte irgendwo doch noch ein paar Tassen aufgetrieben und Kaffee gekocht. Sie waren sehr schweigsam. Katrin hatte den ganzen Tag über sehr viel gesprochen und seit ungefähr zwei Stunden überhaupt nicht mehr. Ihr Gesicht war wie Stein, aber ihre Bewegungen und der stumpfe Glanz ihrer Augen drückte nicht nur Erschöpfung aus, sondern vielmehr eine dumpfe, bohrende Verzweiflung, von der Jan nicht völlig sicher war, ob er sie in vollem Umfang nachempfinden konnte. Katrin hatte an dieser Wohnung gehangen, viel mehr als er selbst, obwohl es im Grunde seine Wohnung war. Katrin war vor zwei Jahren zu ihm gezogen, aber damals waren diese Zimmer wenig mehr als eine Behausung gewesen: praktisch, einigermaßen ordentlich und nicht zu teuer. Nicht weniger, aber auch ganz bestimmt nicht mehr.
Katrin hatte ein Heim daraus gemacht.
Dabei hatte sie nicht einmal besonders viel verändert. Sie hatte weder in größerem Umfang neue Möbel angeschafft, noch die Tapeten und Teppiche ausgewechselt oder auch nur andere Gardinen aufgehängt. Es waren die Kleinigkeiten gewesen, welche die Veränderung herbeigeführt hatten. Vielleicht das, was man als die Hand einer Frau bezeichnete.
Aber es waren viele Kleinigkeiten gewesen. Und wie gewaltig die Veränderung gewesen war, das begriff er erst jetzt, angesichts dieser fast vollkommenen Zerstörung. Der Eindringling hatte mehr zerstört als ein paar Möbelstücke und ein bißchenGlas und Porzellan. Er hatte zwei Jahre von Katrins Leben vernichtet.
»Wir brauchen einen neuen Fernseher«, sagte Katrin unvermittelt.
Angesichts dessen, was sie noch alles brauchten, kam Jan diese Bemerkung fast absurd vor. Aber dann blickte er in Katrins Gesicht und erschrak erneut.
Es war … leer. In ihren Augen schien kein Leben mehr zu sein, sondern etwas
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