Dunkel - Hohlbein, W: Dunkel
bleiche Strahl auf eine Fläche. Nach vielleicht noch einmal zwanzig oder dreißig Schritten endete das Siel an einer Wand aus massivem Beton. Jan ging weiter und ließ den Strahl der Taschenlampe dabei beständig von links nach rechts pendeln. Es gab einen schmalen Sims, der sich etwa in Mannshöhe um den gesamten Raum zu erstrecken schien und dessen Funktion ihm verborgen blieb. Aber allem Anschein nach gab es keinen weiteren Ein- oder Ausgang. Die einzigen Öffnungen waren eine Anzahl vergitterter Zuflüsse, die aber allesamt viel zu klein waren, als daß ein Mensch hindurchgepaßt hätte.
Ohne im Grunde genau zu wissen, warum, zog er die Kamera aus der Tasche und machte eine Anzahl Aufnahmen von der Wand vor sich. Es würde sowieso nichts darauf zu erkennen sein; nicht bei diesem Licht.
Als er die Kamera wieder einsteckte, hörte er ein Geräusch hinter sich, das er im ersten Moment nicht richtig einordnen konnte, das ihn aber alarmierte. Er drehte sich um, ließ den Lichtstrahl über die Wasseroberfläche huschen und versuchte die Dunkelheit dahinter mit Blicken zu durchdringen. Es gelang ihm nicht. Aber das Geräusch wiederholte sich, und es kam ihm jetzt eindeutig näher vor.
Es war ein Platschen. Das Geräusch, das … ein Mensch verursachen mochte, der durch hüfthohes Wasser lief …
Die Erkenntnis kam zu spät. Jan ortete das Geräusch nun eindeutig und wollte herumfahren, aber er kam nicht mehr dazu, die Bewegung zu Ende zu führen. Etwas prallte mit großer Wucht gegen ihn, riß ihm die Lampe aus der Hand und schleuderte ihn zurück. Die Taschenlampe flog in hohem Bogen durch die Luft, prallte gegen einen der Betonpfeiler und zerbrach klirrend. Jan stürzte mit einem halb erstickten Schrei ins Wasser und wurde unter die Oberfläche gedrückt.
Er kam nicht wieder hoch. Im ersten Moment glaubte er allen Ernstes, es wäre die Kälte, die ihn gelähmt hatte, aber das stimmte nicht.
Jemand hockte auf seinem Rücken und preßte ihn gegen den Boden.
Jan geriet in Panik. Seine Lungen rangen nach Luft. Er war erst seit einer oder zwei Sekunden unter Wasser, aber er hatte geschrien und dabei ausgeatmet, als er gestürzt war, und er würde diese unglückliche Lage weder länger als ein paar Sekunden aushalten, noch hatte er die Kraft, sich selbst daraus zu befreien.
Natürlich versuchte er es trotzdem, aber seine Energie reichte nicht. Seine Lungen schienen explodieren zu wollen. Noch wenige Augenblicke, und er würde dem Drang zu atmen nachgeben, und dann war es aus. Ein Freund hatte ihm einmal erklärt, was beim Ertrinken geschah: Es war nicht etwa so, daß sich die Lungen mit Wasser füllten und man langsam erstickte. Vielmehr geriet Wasser in die Stimmritze, was zu einem Schock und – in den meisten Fällen – zu sofortigem Tod führte. Wenigstens würde er nicht leiden.
Aber nicht einmal diese Gnade wurde ihm zuteil.
Buchstäblich im allerletzten Moment verschwand der tödliche Druck von seinem Rücken. Gleichzeitig krallte sich eineHand in sein Haupthaar und riß ihn mit so brutaler Gewalt in die Höhe, daß schon sein erster, keuchender Atemzug zu einem qualvollen Schrei wurde.
Vlad ließ ihm gerade genug Zeit für einen einzigen, tiefen Atemzug, ehe er ihn nach vorne und wieder unter die Wasseroberfläche drückte.
Er wehrte sich nicht. Vlad hatte seinen linken Arm gepackt und mit brutaler Kraft auf den Rücken gedreht und die andere Hand in sein Haar gekrallt; selbst ein Mann mit normalen menschlichen Kräften hätte in dieser Haltung leichtes Spiel mit ihm gehabt.
Kurz bevor Jan das Bewußtsein verlor, riß Vlad ihn wieder in die Höhe, schüttelte ihn ein paarmal und warf ihn dann mit solcher Gewalt gegen einen Betonpfeiler, daß ihm schon wieder die Luft aus den Lungen getrieben wurde. Seine Beine gaben nach, und er fiel nur aus dem Grund nicht, da er bis zu den Hüften im Wasser stand. Alles drehte sich um ihn. Er wußte nicht mehr, warum er hier war; wo er war; vielleicht nicht einmal mehr, wer er war.
Vlad ohrfeigte ihn, mehrmals hintereinander, so hart, daß seine Lippen zu bluten begannen.
»Es gibt nur einen einzigen Grund, aus dem ich dich nicht auf der Stelle ersäufe«, sagte er kalt. »Ich will wissen, wieso du hier bist!«
Jan hätte nicht einmal antworten können, wenn er es gewollt hätte. Sein Schädel dröhnte. Sein ganzer Körper war ein einziger durchdringender Schmerz, und Vlads bloße Nähe erfüllte ihn mit einer Furcht, die ihn fast in den Wahnsinn trieb.
Vlad
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