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Dunkel - Hohlbein, W: Dunkel

Dunkel - Hohlbein, W: Dunkel

Titel: Dunkel - Hohlbein, W: Dunkel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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erneut. Der Schatten dachte nicht daran, zu verschwinden, und Jan tat etwas, von dem er selbst in dem Moment, in dem er es tat, noch nicht glaubte, daß er den Mut dazu hätte: Er schloß die Augen, zählte in Gedanken bis drei, drehte sich ganz langsam herum und öffnete die Augen in der Bewegung wieder.
    Der Dunkle war verschwunden. Nein. Jan korrigierte sich in Gedanken. Nicht verschwunden . Er war niemals dagewesen .
    Und es war auch nicht der Dunkle, sondern nur ein Schatten, verdammt noch mal, eine optische Täuschung oder allenfalls eine Halluzination. Er sollte aufhören, die Terminologie seines Vaters zu benutzen, wenn er nicht Gefahr laufen wollte, in naher Zukunft genauso verwirrt zu sein wie er in seinen letzten Tagen.
    Fast aus einem Gefühl von Trotz heraus stieß er sich vom Waschbeckenrand ab, ging einen Schritt zur Badewanne hin – alles in diesem Bad war nur einen Schritt entfernt, ganz gleich, wo man gerade stand – und schlug den Duschvorhang ganz zur Seite.
    Die Badewanne war leer. Natürlich war sie leer. Die Gespenster existierten – wenn überhaupt – nur in seinem Kopf.
    Der nächste, folgerichtige Schritt wäre gewesen, die Hand auszustrecken und nach dem unsichtbaren Körper zu tasten, der den Schatten warf, aber dabei wäre er sich einfach zu lächerlich vorgekommen – wenigstens redete er sich das ein, auch wenn er tief in sich drin ganz genau wußte, daß er Angst davor hatte, es zu tun und vielleicht etwas zu finden .
    Jan schüttelte zornig den Kopf, drehte sich mit einem Ruck herum und ging zur Tür. Er vermied es, dabei noch einmal in den Spiegel über dem Waschbecken zu sehen.
    Katrin hatte ihre Zigarette zu Ende geraucht und war geradedabei, sich eine neue anzuzünden, als er ins Wohnzimmer zurückkam. Bei seinem Eintreten schob sie die Zigarette hastig wieder in die Schachtel zurück und sah dabei fast ein bißchen verlegen aus. Unter normalen Umständen hätte Jan seine helle Freude daran gehabt: Daß er selbst dann und wann rauchte, hinderte ihn keineswegs daran, ihr Vorhaltungen über dieses Thema zu machen. Schließlich war es ein Unterschied, ob man fünf oder fünfzig Zigaretten am Tag rauchte. Heute nahm er es nicht einmal zur Kenntnis.
    »Ich habe zwar nicht die geringste Ahnung, wer dieser Dr. Petri ist«, sagte er, »aber wenn ich nun schon einen Termin bei ihm habe, kann ich genausogut auch hingehen, oder?«
     
    Dr. Petri sah aus wie ein an Bulimie leidender Chinese und redete wie ein Wasserfall, als würde die Krankenkasse neuerdings nach Worten abrechnen. Alles verlief genau so, wie Jan erwartet hatte: Der Arzt las stirnrunzelnd den Bericht, den er mit Hilfe von Katrins unbestrittenem Organisationstalent mittlerweile per Fax von der Kölner Uniklinik bekommen hatte, untersuchte ihn eher flüchtig als gründlich und schickte ihn mit einem Rezept und den üblichen guten Ratschlägen nach Hause. Jan besorgte das Medikament in der Apotheke, die sich im gleichen Gebäude befand, und warf es in den nächsten Mülleimer, nachdem er einen Blick auf den Beipackzettel verschwendet und festgestellt hatte, daß es sich um ein besseres Placebo handelte. Ein harmloses Stärkungsmittel. Dr. Petri hatte ihm mehr oder weniger dasselbe gesagt, was er ohnehin vermutet hatte – daß er einfach überarbeitet war und sich, auch wegen der angebrochenen Rippen, ein paar Tage schonen und die nächste Zeit nicht allzu sehr anstrengen sollte. Er konnte nur hoffen, daß seine Auftraggeber dasselbe dachten, wenn er sie morgen anrief und ihnen mitteilte, daß sie auf die Fotoserie eine Woche länger warten mußten.
    Was er selbstverständlich nicht tun würde.
    Katrin hatte darauf bestanden, ihn zu fahren, aber natürlich keine Lust gehabt, mit ihm im Wartezimmer zu sitzen. Katrin haßte es, zu warten. Sie hatte keine Skrupel, andere stundenlang auf sich warten zu lassen, wurde aber umgekehrt unausstehlich, wenn sie länger als zehn Minuten irgendwo sitzen oder stehen mußte. Jan hatte deswegen nicht protestiert, als sie vorgeschlagen hatte, noch schnell ein paar Besorgungen zu machen und sich später mit ihm zu treffen.
    Jetzt war es später. Viel später sogar, als erwartet. Katrin sollte längst zurück sein und entweder in Dr. Petris Wartezimmer oder im Wagen auf ihn warten. Das Wartezimmer war leer gewesen. Jan war der letzte Patient für diesen Tag, und der vorwurfsvolle Blick, mit dem ihm die Sprechstundenhilfe den Zettel mit seinem nächsten Termin gab, machte ihm auch klar, daß

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