Dunkel - Hohlbein, W: Dunkel
dieHöhe, der er nichts entgegenzusetzen hatte. Auch die Hände waren verbrannt. Jan spürte nasses, fieberheißes Fleisch.
»Erst wollte ich dich einfach nur töten!« krächzte die unheimliche Stimme an seinem Ohr. Das verbrannte Gesicht war dem Jans so nahe, daß sie sich beinahe berührten. Er roch jetzt nicht nur versengtes menschliches Fleisch, sondern auch Fieber und Krankheit. »Aber das wäre zu leicht. Ich lasse dich noch eine Weile am Leben, dich und dieses Flittchen, hast du verstanden? Du wirst sterben, aber vorher werde ich jeden umbringen, der dir etwas bedeutet, und du wirst dabei zusehen! Ich werde dir alles nehmen, alles zerstören. Und ganz am Schluß wirst du mich anflehen, zu dir zu kommen. Und ich werde kommen, verlaß dich darauf! In dem Moment, in dem du mich am wenigsten erwartest, werde ich da sein!«
»Bitte!« stöhnte Jan. »Ich … ich weiß nicht … nicht, wovon Sie reden! Ich kenne Sie ja nicht einmal!«
»Du wirst dir noch wünschen, mich niemals kennengelernt zu haben«, knurrte der Verbrannte. »Du hättest den Tod akzeptieren sollen, du Idiot! Es gibt Schlimmeres, als zu sterben, weißt du?« Er riß Jan weiter in die Höhe und stieß ihn dann so wuchtig gegen die Wand, daß er abermals fast das Bewußtsein verlor und kraftlos in sich zusammensank, als die verbrannten Hände endlich losließen.
Alles drehte sich um ihn. Er spürte, wie seine Kräfte erloschen, aber diesmal wehrte er sich nicht mehr gegen die Bewußtlosigkeit, sondern hieß sie im Gegenteil bereitwillig willkommen. Vielleicht würde er aus der Ohnmacht nie wieder erwachen, aber alles, selbst der Tod, erschien ihm besser als der Irrsinn, der ihn jetzt beherrschte.
Der Fremde ließ nicht zu, daß er sich in eine Bewußtlosigkeit flüchtete. Ein harter Schlag traf Jan ins Gesicht und zwang ihn in eine Wirklichkeit zurück, die schlimmer war als jeder Alptraum.
»O nein, Arschloch«, krächzte die unheimliche Stimme. »So leicht kommst du mir nicht davon! Du wirst noch eine Weile leben. Ich will, daß du siehst, was passiert … Aber dazu reicht ja eigentlich auch ein Auge, oder?«
Jan bäumte sich auf, aber es war sinnlos. Die unheimliche Gestalt schien weiter nur aus Schatten und flüchtiger Bewegung zu bestehen, aber sie war trotzdem ungeheuer stark. Er wurde mühelos niedergehalten. Nasses, heißes Fleisch tastete über sein Gesicht, glitt über seinen Mund, seine Wange und suchte nach seinem Auge.
»Nein!« wimmerte Jan. »Bitte! Sie … Sie verwechseln mich! Ich habe nichts mit … mit dem zu tun, was Ihnen passiert ist! Ich weiß ja nicht einmal, wer Sie sind!«
»Soll ich es einfach ausdrücken, oder möchtest du vielleicht dein eigenes Gesicht sehen?« fragte der andere hämisch. »Vielleicht funktioniert es ja. Ich gebe zu, ich habe es noch nie probiert, aber wer weiß?«
Jan brüllte vor Schmerz, als sich der Fingernagel des Fremden in seinen Augenwinkel grub. Er bäumte sich mit verzweifelter Kraft auf, aber der Fremde hielt ihn mühelos nieder. Sein Fingernagel grub und wühlte erbarmungslos weiter. Der Schmerz war unvorstellbar, aber noch schlimmer war die Angst. Er konnte auf dem linken Auge kaum noch sehen. Blut und grelle Blitze aus reinem Schmerz trübten sein Blickfeld, und die Angst trieb ihn bis an den Rand des Wahnsinns.
Plötzlich verschwand der grausame Druck auf sein Auge. Jan riß mit einem Schrei die Hände vor das Gesicht und warf sich herum, und auch das konnte er plötzlich. Nicht nur der mörderische Druck auf sein Auge war verschwunden. Der Fremde hatte ihn losgelassen. Jan kroch stöhnend über den Boden davon, zog die Beine an den Körper und wimmerte wie ein verängstigtes Kind. Er hörte Geräusche: Trappelnde Schritte, ein dumpfes Poltern, ein Schlag; vielleicht so etwaswie ein Schrei. Er hatte das Gefühl, Zeuge eines Kampfes zu werden, vielleicht auch einer Verfolgungsjagd, denn die Geräusche entfernten sich rasch. Schließlich hörten sie ganz auf.
Trotzdem vergingen noch mehrere Minuten, ehe Jan es wagte, die Arme herunterzunehmen und sich umzusehen.
Er war wieder allein. Die unheimliche Schattengestalt war verschwunden, und auch die anderen, die er nicht einmal gesehen hatte, sondern nur gehört, waren nicht mehr da.
Mühsam richtete er sich auf. Sein Auge schmerzte wie verrückt und blutete, aber er konnte sehen. Nicht besonders gut, aber er konnte sehen. Er stemmte sich vollends in die Höhe, preßte die Hand gegen das schmerzende Auge und wandte sich der
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