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Dunkel - Hohlbein, W: Dunkel

Dunkel - Hohlbein, W: Dunkel

Titel: Dunkel - Hohlbein, W: Dunkel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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gebracht hatte. Da er der einzige bekannte Verwandte war, bat man ihn, vorbeizukommen und sich um die notwendigen Formalitäten zu kümmern. Jan notierte die Nummer und hörte den zweiten Anruf ab, und der stellte eine echte Überraschung dar – auch wenn er nicht sicher war, ob sie angenehm war: Es war Dr. Mertens, der Stationsarzt aus der Uniklinik Köln. Er bat ihn um Rückruf, ohne die Gründe dafür anzugeben.
    Jan notierte auch seine Nummer und löschte die übrigen drei Anrufe, ohne sie abgehört zu haben. Für einen Morgen hatte er mehr als genug gehört.
    Er wählte die Nummer, die Mertens ihm auf Band gesprochen hatte, erreichte aber nur eine Sekretärin, die ihm erklärte, daß der Herr Doktor auf Visite und für die nächsten zwei Stunden ganz bestimmt nicht zu sprechen sei. Jan hängte ein, aber er hatte alle Mühe, den Hörer nicht vor Wut auf die Gabel zu knallen.
    Mertens! Was um alles in der Welt wollte Mertens von ihm? Der Doktor war mit Sicherheit ein netter Mann, und Jan war gewiß kein Patient, den er so schnell vergaß, aber er war trotzdem nicht mehr als eben ein Patient . Einer von vermutlich Tausenden.
    Wieso, zum Teufel, rief der Arzt einer Universitätsklinik beieinem x-beliebigen Patienten an, noch dazu bei einem, der sich selbst aus seiner Obhut entlassen hatte?
    Er schenkte sich eine weitere Tasse Kaffee ein, nippte jedoch nur davon und stand auf. Eine hektische Ruhelosigkeit hatte von ihm Besitz ergriffen, die es ihm unmöglich machte, still zu sitzen. Für einen Moment drohte er fast in Panik zu geraten. Er wußte nicht einmal, warum.
    Plötzlich verspürte er einen regelrechten Heißhunger auf eine Zigarette. Er hatte sich gestern abend eine frische Packung gekauft, aber sie war zusammen mit den Kleidern, die er getragen hatte, verschwunden. Wahrscheinlich hatte Katrin sie weggeräumt. Also machte er sich auf die Suche nach ihren Zigaretten.
    Das erste Versteck, das er inspizierte, war leer. Das zweite, eine Schublade des Vitrinenschranks, enthielt eine halbvolle Packung – und die Fotoserie, die er drei Nächte zuvor gemacht hatte.
    Es war ein seltsames Gefühl, sie zu betrachten. Sie waren noch immer gut, vielleicht nun, mit einigem Abstand betrachtet, sogar noch besser, und trotzdem war es ein fast unwirkliches Gefühl, sie zu betrachten. Er mußte an Katrins Reaktion denken, als er ihr die Abzüge gezeigt hatte. Sie hatte genau so auf die Bilder reagiert, wie er erwartet hatte, aber das galt nicht für alles. Die Katrin, die er kannte, wäre verstimmt über die Tatsache gewesen, daß er ungefragt Aktaufnahmen von ihr gemacht hatte, und sie hätte geschäumt, wenn sie Vera auf den Fotos entdeckt hätte.
    Das hatte sie nicht getan.
    Genaugenommen hatte sie gar nicht reagiert; jedenfalls nicht so, wie sie es sonst getan hätte.
    Und da war … noch etwas.
    Jan zündete sich eine Zigarette an, steckte die Packung kurzerhand ein und trat mit den Bildern in der Hand ans Fenster.Er war, nachdem er Vera auf den Bildern entdeckt hatte, viel zu erregt gewesen, um auf Details zu achten, aber nun erschienen sie ihm fast unübersehbar. Und so ganz nebenbei unmöglich.
    Er betrachtete die Fotos eingehend und der Reihe nach, dann löschte er die Zigarette, ging in die Dunkelkammer und machte eine zweite Serie von Abzügen. Er arbeitete schnell, aber sehr sorgfältig, um einen technischen Fehler auszuschließen, aber es blieb dabei: Vera war auf den Bildern unscharf.
    Nur sie.
    In Anbetracht der Lichtverhältnisse und des Filmes, den er benutzt hatte, waren die Bilder ohnehin nicht gestochen scharf – was ja gerade einen Teil ihres Reizes ausmachte –, aber das Mädchen mit der chaotischen Frisur war deutlich unschärfer als der Rest der Aufnahme. Man mußte kein Profifotograf sein, um zu wissen, daß das vollkommen unmöglich war. Ein Bild war scharf oder nicht.
    Nur nicht in diesem Fall. Veras Gestalt war keineswegs verwackelt. Als er die Fotos in die richtige Reihenfolge hintereinander legte, stellte er fest, daß sie sich zwischen den Aufnahmen praktisch nicht bewegt hatte. Die Couch, hinter der sie stand, war scharf. Die Schrankwand, vor der sie stand, war scharf. Ihre Gestalt war verwackelt und ihr Gesicht so undeutlich, daß er es eigentlich nur erkannte, weil er wußte, wie es aussah. Es war als … wäre sie gar nicht richtig da.
    So wie gestern abend, als er geglaubt hatte, zwei Wirklichkeiten zu sehen.
    Um wirklich sicherzugehen, untersuchte Jan mit großer Sorgfalt die Negative,

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