Dunkel ist die Sonne
Gesicht des anderen lasen sie jeweils den gleichen Gedanken. Irgendwie war es ihnen bisher gelungen, auch ohne die Eier fertig zu werden. Und lange Zeit hatten sie sie nicht einmal vermißt. Ja, so merkwürdig es auch war, sie brauchten sie nicht mehr.
„Was du sagst, ist wahr, Sloosh“, bemerkte Deyv. „Das zu wissen, ist ein eigenartiges Gefühl, sowohl unangenehm wie auch heiter. Aber wir können erst dann zu unseren Stämmen zurück, wenn wir unsere Eier wiederhaben. Das ist leider so.“
Die große, teilweise in Blätter gekleidete Hand des Archkerri machte eine kreisförmige Bewegung.
„Wir sind euer Stamm!“
Der Yawtl lachte auf und tanzte hämisch lächelnd umher. „Ein schöner Stamm!“
„Nun“, fuhr der Pflanzenmensch fort, „damit habe ich einen einstweiligen Stamm gemeint. Wie wenig einheitlich die Gruppe auch sein mag, ihre Mitglieder kommen jedenfalls gut miteinander aus. Und wir haben bis jetzt einiges geschafft. Wenn wir hier herauskommen, könnt ihr euch einen Stamm bei den Menschen suchen, der keine Eier verlangt. Wenn ihr dann so einen nicht findet, könnt ihr immer noch Hexen werden und euren eigenen Stamm gründen. Ihr werdet genug Geräte der Alten besitzen, um große Macht zu erlangen.“
„Nein“, sagte Deyv. „Wenn wir glaubten, daß es keine Möglichkeit gäbe, zu unserem Volk zurückzukehren, würden wir sterben.“
„Glaubt ihr wirklich, ihr beide würdet noch einmal zurückfinden? Ihr würdet euch bestimmt verirren. Ihr würdet umgebracht werden. Es tut mir wirklich leid, das sagen zu müssen, aber Tatsachen sind nun mal Tatsachen.“
„Tatsachen lassen sich verändern“, sagte Deyv.
„Ja, das sagt sich so leicht. Aber …“
Er hielt inne. Von der riesigen Halle drang ein merkwürdiges, lautes Geräusch zu ihnen herüber, ein Zischen wie von tausend Schlangen.
Feersh legte sich die Hand aufs Herz.
„Die Shemibob!“
35
Feershs Beschreibungen hatten Deyv bereits vorbereitet. Außerdem war er nun schon so vielen Ungeheuern begegnet, daß er zwar nicht blasiert reagierte, aber der Anblick doch nichts Ungewöhnliches mehr für ihn hatte. Nichtsdestoweniger empfand er Furcht, als die Besitzerin des Schlosses in dem gewaltigen Torweg erschien.
Sie wirkte auf den ersten Blick halb schlangen- und halb menschenhaft. Ihr Körper war der einer Python und mindestens zwölf Meter lang. Die Haut war jedoch schuppenlos glatt wie die Deyvs. Sie hatte etwas Silbriges, wie von Metall Durchwirktes mit dunkler, spindelförmiger Zeichnung auf dem Rücken und an den Seiten. Der Körper wurde höchst unschlangenhaft von zwanzig Paar kurzen, dicken, humanoiden Beinen getragen. Diese waren bis zu den Schenkeln schwarz und von dort an silbrig. Die Füße waren ebenfalls menschlich, obwohl sehr breit und dreizehig. Die katzenhaft wirkenden Nägel waren knallrot bemalt.
Die Vorderfront war dort, wo die Beine endeten, aufwärts gebogen, was ihr das Aussehen eines schlangenartigen Zentaurenwesens verlieh. Sie hatte Schultern und vollkommen weibliche Arme und Hände, aber an letzteren saßen nur vier Finger. Die beiden großen, kegelförmigen Brüste bewiesen, daß sie trotz des Schlangenkörpers ein Säugetier war. Vielleicht war sie es aber auch nicht, wenn man es nämlich ganz genau nahm. Feersh hatte einmal erwähnt, daß sie statt Milch Blut gab. Allerdings brachte sie lebende Junge zur Welt; sie legte keine Eier. Das unbehaarte, rötliche Delta ihres Geschlechts lag genau unterhalb der Stelle, an der ihr Körper sich in die Vertikale fortsetzte.
Ihr Kopf war doppelt so groß wie der Deyvs und dem eines Menschen ähnlich, aber dreieckiger als das Gesicht eines jeden Vertreters der Gattung Homo sapiens. Die Backenknochen standen stark hervor. Das Kinn war sehr spitz, hatte aber in der Mitte eine deutliche Vertiefung. Die Lippen waren stark aufgeworfen und sehr rot. Der offene Mund ließ spitze Zähne, wie bei einem Fuchs, erkennen. Die Zunge verstärkte den Eindruck des Schlangenhaften noch, da sie leicht gespalten war. Die Nase war kurz, aber hakenartig. Die Augen waren sehr groß im Verhältnis zum Kopf und gänzlich blattgrün. Die Stirn war breit und hoch, und zwar so, daß es aussah, als sei das vergleichsweise kleine Gesicht nachträglich angefügt worden.
Sie besaß kein Haupthaar, sondern statt dessen sehr lange und dicke, silbrige Stacheln, die in der Mitte von einem schwarzen Band zusammengehalten wurden. Feersh hatte gesagt, daß die Jungen kahlköpfig geboren
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