Dunkel ist die Sonne
Außenseite. Es gab vier Fenster, von denen jedes so klein war, daß sich höchstens ein Kind hätte hindurchzwängen können. Zwei männliche Tsimmanbul standen vor der Tür und ein we i terer vor jedem Fenster Wache. Ansonsten schien im Dorf alles den gewohnten Geschäften nachzugehen. Die kleinen rannten spielend herum, die Frauen kochten und erzählten sich den neuesten Klatsch, die Männer kamen mit Fischen, Wild und Früchten oder auch mit leeren Händen hinzu.
Der Schamane saß auf einem Bambushocker vor se i ner Hütte. Er trug einen hohen Kopfschmuck aus Federn, um den dicken Hals ein grünes und purpurfarbenes Ei an einer Schnur, dazu einen schwarz-weiß karierten Kilt aus Fasern und knapp unter dem Knie mit Fransen besetzte Lederborten. Eine dicke Schicht aus ranzigem Fett glän z te auf der Farbe und der bloßen Haut.
Auf der Erde zu den Füßen des Schamanen lagen sechs Stöckchen, die fünfzehn Zentimeter lang waren. Ab und zu nahm er sie in die Hand, schüttelte eine große Kürbisrassel, wozu er einen sonderbaren, schrillen G e sang ausstieß, und warf dann die Stöckchen in die Luft. Hinterher betrachtete er dann genau die Muster, die sie auf dem Boden bildeten.
Die Gefangenen waren seit drei Ruhezeiten in der Hütte. Abgesehen von den Schlägen, die ihnen Kinder und Frauen verabreicht hatten, als sie ins Dorf geschleppt worden waren, hatte man sie gut behandelt. Das Essen war gut und reichlich. Die Bambuskübel, in die sie ihre Notdurft verrichteten, wurden regelmäßig geleert und vor der Rückgabe ausgewaschen. Und jeweils einer von i h nen wurde herausgelassen, damit sie Bewegung bek a men.
Kurz nachdem sie eingesperrt worden waren, hatte e i ne Frau damit begonnen, ihnen Sprachunterricht zu erte i len. Sie stand draußen vor der Tür und hielt Gegenstände hoch, zu denen sie jeweils den Namen sagte. Es war nicht leicht, die Pfiffe nachzumachen, aber unmöglich war es auch nicht. Sloosh konnte nur summen. Die Lehrerin j e doch war bald soweit, daß sie seine modulierten Töne zu ihren eigenen in Beziehung setzten konnte.
Der Unterricht machte den Hund und die Katze, die ebenfalls mit ihnen eingeschlossen waren, zuerst nervös. Nach einer Weile gewöhnten sie sich aber daran.
Während eines guten Teils der Zeit saß der Schamane da und warf seine Stöcke. Manchmal verließ er auch das Dorf wegen irgendwelcher, zweifellos dunkler Geschä f te. Wenn er nicht da war, kamen die Kinder an die Tür und sprachen mit den Gefangenen, die bei diesen G e sprächen mehr Fortschritte machten, als durch die Bem ü hungen der Lehrerin.
Ein Gefangener der Tsimmanbul, dessen Bemalung erkennen ließ, daß er einem feindlichen Stamm angehörte, wurde von mehreren Kriegern hereingetragen. Er wurde in eine Hütte gebracht und blieb dort, außer während der Zeit, in der es ihm gestattet war, sich draußen zu bew e gen, zehn Ruhezeiten lang. Der Schamane besuchte ihn häufig, wobei er jedes Mal einen Faserkäfig zu ihm h e reinnahm, in dem ein riesiger Leuchtkäfer saß. Als diese Zeit vorüber war, wurde der Gefangene fortgeführt. Das ganze Dorf feierte; es wurde getrommelt, gepfiffen, g e flötet, Schildkrötenharfe gespielt, gesungen und getanzt, und alle wechselten sich ab, den Gefangenen mit Farbe zu beschmieren, bis er regelrecht pechschwarz war.
Dann wurde er gefesselt und auf einer Sänfte aus der Einfriedung herausgetragen. Alle außer den Wächtern begleiteten ihn. Nachdem sieben Ruhezeiten vergangen waren, kehrten sie zurück. Auf der Sänfte lag immer noch der Gefangene, aber nur noch Schädel und Skelett waren von ihm übriggeblieben. Die sauber abgenagten Knochen wurden auf den Boden geworfen. Der Scham a ne nahm den Schädel mit in sein Haus, und die Knochen wurden bei einer wilden Feier auf einem riesigen Feuer verbrannt.
Sloosh sagte: „Man beachte, daß in Brustbein und Schädel ein kleines Loch beziehungsweise mehrere L ö cher waren.“
„Was bedeutet das?“ fragte Vana.
„Ich weiß es nicht, aber das finden wir schon heraus, wenn ich auch kaum glaube, daß es u ns g efallen wird.“
Er hielt inne und meinte dann: „Trotzdem, warum sol l ten sie sich diese ganzen Mühen und Kosten machen, uns zu ernähren und ihre Sprache beizubringen, nur um uns anschließend zu töten? Das scheint mir nicht logisch. Ich gebe jedoch zu, daß dieser Schluß auf unzureichenden Angaben beruht. Der Gefangene sprach, soweit ich seine Pfiffe mitbekommen habe, als sie ihn abtransportierten, die gleiche
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