Dunkel ueber Longmont
hindurchfallen konnte.
Da er seine Botschaft nicht unter vier Augen überbringen wollte, blieb er, wo er war, und rief: »Mir ist nicht nach Schwimmen, nicht in dieser Rüstung. Raj Ahten, ich habe eine Nachricht für Euch! Zeigt Ihr Euch mir, oder wollt Ihr Euch hinter diesen Mauern verstecken?«
Es schien Wahnsinn, den Wolflord der Feigheit zu bezichtigen, doch Borenson war längst zu der Überzeugung gelangt, daß geistige Gesundheit in einer Welt des Irrsinns keine Tugend war.
Nachdem sich zwanzig Sekunden lang nichts geregt hatte, rief Borenson erneut: »Raj Ahten, im Süden nennt man Euch den Wolflord. Mein Lord meint jedoch, Ihr seid kein Wolf, sondern der Abkömmling eines gewöhnlichen Windhundes, und daß Ihr nicht die natürliche Veranlagung des Menschen habt, sondern statt dessen Hündinnen zugeneigt seid. Was sagt Ihr dazu?«
Plötzlich stand Raj Ahten oben auf der Mauer, strahlend wie die Sonne, die weißen Eulenschwingen seines Helms weit ausladend. Er blickte gebieterisch nach unten. Die Beleidigungen brachten ihn nicht aus der Ruhe.
»Werdet mein Diener«, sagte er sanft und so verführerisch, daß Borenson beinahe von seinem Pferd gesprungen und auf die Knie gefallen wäre. Aber er erkannte die Wirkung der Stimmgewalt sofort und konnte sie überhören. Wer sich von der Kraft der Stimme beeinflussen läßt, wird kaum Kommandant in Ordens Garde.
»Euer Diener, der Ihr den ganzen Morgen von diesen Mauern herabbellt und meinen Lord mit Drohungen überschüttet? Ihr müßt verrückt sein!« entgegnete Borenson.
Er spie auf den Boden. »Ich furchte, man gewinnt nichts, wenn man Euch dient. Ihr habt nicht mehr lange zu leben.«
»Ihr sagt, Ihr habt eine Nachricht?« fragte Raj Ahten.
Borenson fand, der Wolflord war ein wenig zu sehr darauf erpicht, der Flut der Beleidigungen ein Ende zu machen.
Er tat, als ließe er seinen Blick lange über die Soldaten auf den
Burgmauern
hinwegwandern.
Tausende
von
Bogenschützen standen dort, dazu viele mit Spieß und Schwert. Und auf den Wehrgängen hinter ihnen sah er Bewohner von Burg Sylvarresta neugierige Jungs, die es kaum erwarten konnten, seine Nachricht zu hören. Ein paar Bauern, Kaufleute und Händler standen jetzt bereit, die Mauern für Raj Ahten ebenso energisch zu verteidigen, wie sie am Abend zuvor bereit gestanden hatten, für Sylvarresta zu kämpfen.
Borenson war sich in aller Deutlichkeit bewußt, daß seine Nachricht diesen Soldaten und Städtern mehr bedeutete als Raj Ahten. Eine unheilverkündende Nachricht, die unter vier Augen überbracht wurde, konnte vielleicht den Anführer demoralisieren. Dieselbe Nachricht vor einer Armee übermittelt, konnte ein ganzes Volk zerrütten.
»Eine sehr kleine Armee, um so fern der Heimat in der Falle zu sitzen«, sagte Borenson, als dächte er laut vor sich hin.
Dabei rief er laut genug, daß die Männer auf den fernen Mauern ihn hören konnten.
»Es ist eine hervorragende Armee«, erwiderte Raj Ahten.
»Gut genug für Euresgleichen.«
»Durchaus«, konterte Borenson. »Ich kann sie nur empfehlen. Eure Männer sind in den Wäldern heute morgen gut gestorben. Sie haben fast so gut gekämpft wie erwartet.«
Raj Ahtens Augen blitzten auf. Es war Borenson gelungen, seine Wut anzustacheln. Vielleicht war das doch nicht so klug, überlegte Borenson.
»Genug davon«, sagte Raj Ahten. »Eure Männer sind ebenfalls gut gestorben. Wenn Ihr einen Wettkampf wollt, um zu sehen, wessen Männer besser sterben, dann muß ich gestehen, Eure Männer werden gewinnen, denn ich habe heute genug von ihnen getötet. Und jetzt sagt, was Ihr mitzuteilen habt. Oder seid Ihr nur gekommen, um meine Geduld auf die Probe zu stellen?«
Borenson zog eine Augenbraue hoch und zuckte die Achseln. »Meine Nachricht lautet wie folgt: König Mendellas Orden hat vor zwei Tagen Burg Longmot eingenommen!«
Er wartete einen Augenblick, bis die Nachricht ihre Wirkung tat, dann fügte er hinzu: »Ihr habt zwar eine Besatzerstreitmacht ausgesandt, um diesen Felsbrocken zu halten, König Orden bittet mich aber, Euch mitzuteilen, daß Eure Verstärkungen bis auf den letzten Mann aufgerieben wurden.«
Diese Nachricht erschütterte die Verteidiger auf den Burgmauern. Raj Ahtens Männer sahen einander an und überlegten, wie sie reagieren sollten.
»Ihr lügt«, entgegnete Raj Ahten ruhig.
»Ihr beschuldigt mich der Lüge?« sagte Borenson, der seine Stimmbegabung nach bestem Vermögen einsetzte und versuchte, rechtschaffen und
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