Dunkel ueber Longmont
lediglich berichtet, Orden habe ein »größeres Gefolge als erwartet« zur Feier des Hostenfests mitgebracht und außerhalb des Dorfes Hazan, an der Südgrenze von Heredon, sein Lager aufgeschlagen. Das Gefolge bestand höchstens aus dreihundert Mann – Knappen, Köche und Marketender eingeschlossen. Es war eine große Streitmacht, größer als die, die Raj Ahten hatte einsetzen wollen. Normalerweise war Ordens Gefolge für die Jagd nicht so groß.
Jetzt jedoch hatten die Späher berichtet, gestern abend seien mehr als zweitausend Ritter auf Burg Sylvarresta zugeritten.
Wie war das möglich? Brachte Orden zwei Armeen mit, eine, um Longmot anzugreifen, die andere, um nach Norden zu reiten?
Zwei Tage. Jureem hatte seit zwei Tagen nichts mehr aus Longmot gehört. Er hätte einen Lagebericht erhalten sollen.
Jureem vermutete, daß die Burg gefallen war. Irgendwie war es König Orden gelungen, die Festung einzunehmen.
Der Bote hatte von fünfzigtausend Mann gesprochen.
Fünfzigtausend? Die Zahl machte Jureem nervös, denn sie schien zu nahe an jener Zahl von Rittern zu liegen, die Orden seiner Schätzung nach im nächsten Frühling gegen seinen Herrn aufbieten würde – vorausgesetzt, Orden entging der Falle. Lord Orden konnte eine Viertelmillion Ritter zusammenziehen, würde jedoch nie mit einer auch nur annähernd so großen Zahl angreifen. Er würde nicht wagen, seine Burgen ohne Schutz zurückzulassen.
Gut durchdachte Pläne, die alle kurz vor dem Scheitern standen. Raj Ahten mußte den Norden einnehmen, und das schnell. Seit Jahren schon sanken die Erträge der Blutmetallminen von Kartish. Mitte des Winters würden sie erschöpft sein.
Nur in Inkarra konnte er sich weiteres Blutmetall verschaffen. Es hieß, daß die Minen dort ertragreich seien.
Doch keinem Lord aus Rofehavan oder Indhopal war es je gelungen, nach Inkarra einzumarschieren. Die Zauberer dort waren nicht mächtig, aber zahlreich. Die Inkarrer hatten sich Schlachttaktiken angeeignet, die dem Gelände dort sehr gut angepaßt waren – überfallartige Angriffe in den Hügeln auf stämmigen, kleinen Ponys. Außerdem waren die Inkarrer nur zu besiegen, wenn man gleichzeitig über die Hohen Lords des Arr triumphierte.
Das schlimmste war: vor langer Zeit war ein gewisser Meisterannektor namens Tovil von Rofehavan nach Inkarra geflohen und hatte dort eine neue Schule zur Erforschung der Zwingeisen ins Leben gerufen. Nun waren erstaunliche Entdeckungen gemacht worden, Entdeckungen, die kein anderer Zauberer je hatte wiederholen können. In Inkarra hatte man Zwingeisen entwickelt, die keine Narben hinterließen, so daß es möglich war, anhand des Males die Form einer Rune der Macht zu erkennen. Diese Zwingeisen übertrugen Talente und Fähigkeiten von einer Person zur anderen.
In all den Jahren des Ausspionierens war es den Lords aus Rofehavan und Indhopal nie gelungen, sich die Entdeckungen der Inkarrer anzueignen. Jedesmal, wenn ein Lord aus dem Norden versucht hatte, in den Süden vorzudringen, hatte er schnell erkennen müssen, daß die Südländer ihn nicht nur bekämpften – sie stellten seinen Feinden auch Zwingeisen zur Verfügung.
Deshalb hatte kein Lord jemals Inkarra einnehmen, ihm seinen Reichtum rauben, in seine Geheimnisse eindringen können.
Jureem wußte, Raj Ahten mußte bald handeln. Er mußte die Könige aus dem Norden ausnehmen, sie unterjochen und dann weiterziehen. Durchaus möglich, daß Daylan Hammer in Zeiten, die längst Legende waren, Gaben des Willens und Talents übernommen hatte, daß dies ein unverzichtbarer Bestandteil dessen war, was Raj Ahten benötigte, bevor er zur Summe aller Menschen werden konnte.
Jureem war stolz darauf, sich nicht leicht täuschen zu lassen.
Er vermutete stark, daß Borenson eine verworrene, auf einer Teilwahrheit fußende Geschichte erzählt hatte, die reichlich mit Lügen verwoben war. Wenn Jureem sich jedoch die Nachricht durch den Kopf gehen ließ, die Borenson überbracht hatte, war verdammt schwer festzustellen, wo die Tatsachen endeten und die Lüge begann.
Nach längerem Nachdenken auf der Burgmauer sah Raj Ahten zur Seite, zu Jureem. »Meine Berater, laßt uns gehen«, sagte er. Der Wolflord ersuchte Jureem oder Feykaald nur noch selten um Rat. Diese Aufforderung ließ auf die Besorgtheit seines Herrn schließen.
Sie verließen die Burgmauer und waren noch nicht weit gegangen, als sie die Menschenmenge hinter sich gelassen hatten.
»Feykaald«, fragte der Wolflord den
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