Dunkel ueber Longmont
haben. Nun ja, ich bezweifle, ob er überhaupt betrunken war. Sein Atem roch nach Rum, aber nach herzlich wenig. Außerdem hatte er keinen Grund, nachts durch die Straßen zu schleichen, es sei denn, er wollte die Stadtmauern ausspionieren und die Gardisten zählen! Und als er dann gefangengenommen wird, was tut er da? Er gibt vor, betrunken zu sein, wartet, bis die Garde ganz nah ist und dann zieht er das Messer!« Clewes schlug das Tor krachend zu.
Nachdem sie die Backsteinmauer hinter sich gelassen hatte, konnte Iome den Schloßhof einsehen. Ein Dutzend Männer der Königlichen Garde wartete bei den Toten und dem Sterbenden. Ein Arzt kniete neben Unterkommandant Dreys, und bei den beiden stand Chemoise, die Schultern hochgezogen, die Arme fest vor der Brust verschränkt.
Frühmorgendlicher Nebel stieg vom Anger auf.
»Verstehe«, meinte Iome leise, klopfenden Herzens. »Dann verhört ihr den Mann jetzt?« Jetzt, da sie unter den Augen der Öffentlichkeit waren, blieb Iome an der Mauer stehen.
»Ich wünschte, das könnten wir«, erwiderte Unteroffizier Clewes. »Ich würde ihm persönlich eine Kohle auf die Zunge legen! Aber sämtliche Händler aus Muyyatin und Indhopal sind in Aufruhr. Sie bestehen auf Jwabalas Freilassung und drohen, den Jahrmarkt zu boykottieren. Das wiederum hat den Jahrmarktsmeister in Schrecken versetzt: Gildemeister Hollicks hat den König persönlich aufgesucht und die Freilassung des Kaufmanns verlangt! Könnt Ihr das glauben: einen Spion! Er will, daß wir einen mordenden Spion laufenlassen!«
Iome nahm die Neuigkeiten überrascht auf. Sie warf einen Blick über die Schulter. Ihre Days, eine winzige Frau mit dunklem Haar und stets fest zusammengepreßtem Kiefer, hörte zu. Stand reglos vor dem Tor zum Garten mit den kunstvoll gestutzten Bäumen und liebkoste ein langes, hageres Kätzchen, das sie im Arm hielt. Iome konnte vom Gesicht der Days keine Reaktion ablesen. Vielleicht ahnte die Days, wer dieser Spion war, wußte, wer ihn geschickt hatte. In politischen Angelegenheiten behielten sich die Days jedoch stets völlige Neutralität vor. Sie würden keine Fragen beantworten. Iome dachte nach. Wahrscheinlich hatte Unteroffizier Clewes recht. Der Kaufmann war ein Spion. Ihr Vater hatte selbst seine Spione bei den indhopalischen Völkern. Aber wenn der Mörder ein Spion war, ließ sich das möglicherweise beweisen. Immerhin hatte er zwei Stadtgardisten umgebracht und Dreys verwundet, einen Unterkommandanten der Schloßgarde und dafür sollte der Kaufmann, bei allem, was recht ist, mit dem Leben bezahlen.
In Muyyatin aber dürfte ein Mann, der im Zustand völliger Betrunkenheit ein Verbrechen begangen hatte, nicht hingerichtet werden.
Was bedeutete, daß, sollte ihr Vater die Todesstrafe aussprechen, sich die Muyyatin und alle ihre indhopalischen Artgenossen wegen der Ungerechtigkeit der Hinrichtung beleidigt fühlen würden.
Also drohten sie mit einem Boykott.
Iome dachte über die möglichen Folgen nach. Die Händler aus dem Süden brachten vornehmlich Gewürze aus ihrer Heimat hierher Pfeffer, Muskat und Salz zum Einlegen von Fleisch, Curry, Safran, Zimt und andere für die Verwendung beim Kochen, medizinische Kräuter. Das allerdings war bei weitem noch nicht alles: Aus dem Süden kam auch Alaun für den Einsatz beim Färben und Gerben von Häuten, dazu Indigo und verschiedene andere Farbstoffe, die für Heredons Wolle benötigt wurden. Zudem lieferten die Händler weitere kostbare Waren wie Elfenbein, Seidenstoffe, Zucker, Platin, Blutmetall.
Wenn diese Händler zu einem Boykott des Jahrmarkts aufriefen, versetzten sie damit wenigstens einem Dutzend Gewerben einen fürchterlichen Schlag. Schlimmer noch, ohne die Gewürze zur Haltbarmachung von Lebensmitteln würden die Armen Heredons einen harten Winter vor sich haben.
Der diesjährige Vorstand des Jahrmarkts, Gildemeister Hollicks dem als Meister der Färbergilde der Verlust eines Vermögens drohte, wenn dieser Fall tatsächlich eintrat – , versuchte also, eine Schlichtung zu erwirken. Iome mochte Hollicks nicht. Zu oft schon hatte er den König gebeten, die Einfuhrsteuern auf ausländische Stoffe zu erhöhen, um damit seinen eigenen Absatz zu erhöhen. Doch selbst Hollicks benötigte die Rohstoffe aus Indhopal.
Ebenso dringend waren die Kaufleute aus Heredon darauf angewiesen, daß sie ihre Wolle, ihr Leinen und ihren edlen Stahl den Fremden verkauften. Die meisten bürgerlichen Kaufleute besaßen große Geldsummen,
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