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Dunkel ueber Longmont

Dunkel ueber Longmont

Titel: Dunkel ueber Longmont Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Farland
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wundervollen Statuen, die die ältere Brücke schmückten und die Heredons Runenlords aus alter Zeit in großen Schlachten darstellten.
    Iome hatte sich oft gefragt, wieso ihr Vater die alte Brücke nicht abreißen und die Statuen auf die neue Brücke stellen ließ.
    Doch als sie sie jetzt betrachtete, verstand sie. Die alten Statuen zerfielen, der Stein war bröckelig, weil er über viele Jahre Licht und Sonne ausgesetzt gewesen war, zinnoberrote, kanariengelbe und mattgrüne Flechten überzogen die Standbilder und zerfraßen sie. Das alte Gemäuer hatte etwas Malerisches, Ehrfurchtgebietendes.
    Die Stelle, zu der Chemoise Iome führte, um nach der Seele von Unterkommandant Dreys zu suchen, war sehr still. Das Wasser des Kanals floß träge wie Honig, wie stets im Sommer.
    Die hohen Burgmauern überragten das Wäldchen um gut achtzig Fuß, warfen bläuliche Schatten, die das Wasser des Grabens zu verdunkeln schienen. Nirgends war ein Gurgeln oder Plätschern zu hören. Rosafarbene Wasserlilien blühten im Schatten. Kein Lüftchen regte sich.
    Hier wuchs das Gras üppig. Einst hatte eine altersgraue Eiche ihre Blätter ausgebreitet, doch ein Blitz hatte sie getroffen, und die Sonne hatte Stamm und Äste knochenweiß gebleicht. Unter der Eiche bildete eine uralte Herbstrose eine Laube. Ihr Stamm war so dicht wie das Handgelenk eines Schmieds und ihre alten Dornen spitz wie Nägel.
    Die Rose kletterte gut dreißig Fuß an der Eiche empor und schuf so eine natürliche Laube. Blüten von reinstem Weiß prangten über Chemoise wie gewaltige Sterne an einem dunkelgrünen Himmel.
    Sie ließ sich im Gras nieder. Das satte Grün war plattgedrückt. Iome vermutete, daß es von Liebespaaren als Lager benutzt war.
    Die Prinzessin warf einen Blick über die Schulter auf ihre Days. Die dünne Frau stand oberhalb des Wäldchens, gut vierzig Fuß zurück, hielt die Arme verschränkt und den Kopf gesenkt. Und lauschte.
    Dann tat Chemoise in der Abgeschiedenheit, die der Rosenstrauch gewährte, etwas höchst Seltsames: Sie legte sich hin und zog das Kleid bis zu den Hüften hoch. Sie lag einfach mit gespreizten Beinen da. Es war eine schockierende Stellung, und Iome war es peinlich. Chemoise sah für alle Welt so aus, als wartete sie darauf, daß ein Liebhaber sie nahm.
    An den Flußufern quakten Frösche. Eine Libelle, so blau wie in Indigo getaucht, schwebte dicht an Chemoises Knie vorbei, verharrte einen Augenblick in der Luft und flog davon.
    Die Luft war so ruhig, so still. Es war so wunderschön, daß Iome sich vorstellte, Unterkommandant Dreys’ Seele könnte hier sein.
    Den ganzen Weg war Chemoise ruhig geblieben, doch plötzlich strömten ihr die Tränen über die langen Wimpern und liefen in Bächen übers Gesicht.
    Iome lag neben dem Mädchen, legte ihr einen Arm über die Brust und hielt sie fest, so wie er es sicher getan hatte. »Ihr wart schon einmal hier mit ihm?« fragte Iome.
    Chemoise nickte. »Viele Male. Wir wollten uns hier heute in der Dämmerung treffen.« Zuerst fragte sich Iome, wie wie sie des Nachts vor die Stadttore gelangt waren? Aber natürlich war Dreys Unterkommandant in der Garde des Königs.
    Die Vorstellung war skandalös. Als Iomes Hofdame war es ihre Pflicht, darauf zu achten, daß ihre Herrin rein und unbefleckt blieb. Chemoise würde auf ihre Tugend einen Eid ablegen müssen, sollte Iome sich verloben.
    Chemoises Unterlippe begann zu zittern. Sie flüsterte so leise, daß die Days nichts mitbekam: »Er hat mir ein Kind gemacht, glaube ich. Vor sechs Wochen.« Auf das Geständnis hin hob sie die Hand und biß sich auf den Knöchel, als wollte sie sich selber strafen. Durch ihre Schwangerschaft hatte sie Iome entehrt.
    Wer würde einem von Chemoise geschworenen Eid glauben, wenn man sehen konnte, daß sie selbst befleckt worden war?
    Die Days wußte vielleicht, daß Iome tugendhaft war, die Frau war jedoch durch ihr Gelübde zum Schweigen verpflichtet. Nie würde sie zu Iomes Lebzeiten auch nur ein Sterbenswörtchen verraten. Erst nach Iomes Tod würde die Days ihre Geschichte der Öffentlichkeit verkünden.
    Iome schüttelte bestürzt den Kopf. Zehn Tage. In zehn Tagen hätte Chemoise heiraten sollen, und dann hätte ihr niemand mehr diese Unzüchtigkeit nachweisen können. Durch den Tod ihres Verlobten würde es bald die ganze Stadt wissen.
    »Wir können Euch fortschicken«, schlug Iome vor, »zum Gut meines Onkels in Welkshire. Wir werden allen erzählen, daß Ihr frisch verheiratet und jung

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