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Dunkel ueber Longmont

Dunkel ueber Longmont

Titel: Dunkel ueber Longmont Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Farland
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bis zum Hals. Sie beugte sich vor, schrie: »Nein!« Sie war erstaunt, daß einer ihrer törichten Untertanen, überwältigt von der Schönheit und der Stimme eines Ungeheuers, tat, was dieses verlangte.
    Auch König Sylvarresta neben ihr brüllte, befahl seinen Leuten, die Brücke hochzuziehen. Doch sie waren so weit von den Toren entfernt, so weit oben, und der Klang seiner Rufe wurde gedämpft durch das Visier seines Helms. Er riß es hoch, um deutlicher rufen zu können.
    Ganz im Einklang mit ihren eigenen Gefühlen der Wut, feuerte Kommandant Derrow unten bei den Toren einen Bolzen ab. Derrows Bolzen flog mit unglaublicher Geschwindigkeit, ein verschwommener Punkt aus schwarzem Eisen, der die Rüstung eines jeden anderen Mannes durchschlagen hätte.
    Doch Raj Ahten übertraf ihn noch an Schnelligkeit und Kraft.
    Der Runenlord griff einfach zu und schnappte sich den Bolzen mitten aus der Luft.
    Diese Schnelligkeit. Raj Ahten hatte das Unvorstellbare getan und mehr als eine Gabe des Stoffwechsels angenommen.
    Selbst von hier aus erkannte sie, daß er sich bestimmt fünf-oder sechsmal so schnell bewegte wie ein normaler Mann. Bei einem Leben in diesem Tempo würde er in wenigen Jahren altern und sterben. Aber zuvor war es gut möglich, daß er die Welt eroberte.
    »Augenblick!« rief er und klang dabei wie die Vernunft in Person. »Das lassen wir nicht zu.« Dann, mit gewaltiger Kraft und in einem so sanften Ton, der alle Schutzmechanismen von Iome unterspülte, befahl Raj Ahten: »Legt eure Waffen und eure Rüstungen nieder. Ergebt euch mir!«
    Iome fuhr auf, merkte, daß sie nach ihrem Dolch greifen wollte, bereit, ihn über die Mauer zu werfen. Nur Gaborn, der die Hand ausstreckte, um sie zu stoppen, verhinderte, daß sie die Waffe über die Mauer fallen ließ.
    Sie bedauerte es augenblicklich, sah, wie töricht es gewesen war, und blickte zu ihrem Vater hinüber, aus Angst, er könnte vielleicht wütend geworden sein. Sie sah, wie er sich abmühte, wie er kämpfte, nicht selbst sein Schwert niederzulegen.
    Einen halben Herzschlag lang stand sie da und war entsetzt, wie ihr Volk auf Raj Ahtens Stimme und Schönheit reagierte.
    Sie befürchtete, daß die, die näher an dem Ungeheuer standen, sich täuschen ließen.
    Mit einem Aufschrei wie bei einer Jubelfeier begann ihr Volk Bögen und Waffen über die Burgmauern zu schleudern.
    Schwerter und Sicheln fielen zusammen mit Helmen und Schilden in dem Burggraben. Die Katapulte auf der Südmauer landeten klatschend im Wasser, eine Gischtfontäne spritzte auf. Der Jubel ihres Volkes war beinahe ohrenbetäubend, man möchte meinen, Raj Ahten sei als ihr Retter und nicht als ihr Vernichter gekommen. In diesem Augenblick wurden die Stadttore weit aufgerissen.
    Einige der ergebensten Soldaten des Hauses Sylvarresta stemmten sich in der Hoffnung dagegen, die Tore wieder zu schließen. Kommandant Derrow schwang seine Stahlarmbrust wie eine Keule und wehrte Stadtbewohner ab. Einigen Kriegern mit großem Mut, aber wenig Geschick gelang es, von ihren Stellungen auf den Mauern hinunterzusteigen. Als sie laut zu protestieren begannen, wurden sie von den Umstehenden gepackt. Auf den Mauern brach Streit aus. Iome sah mehrere Männer der Stadtgarde, die über die Mauern in den Tod geworfen wurden.
    Von hier aus konnte Iome die Schönheit von Raj Ahtens Gesicht nicht erkennen. Von hier aus minderte der Wind bestimmt das Betörende in seiner Stimme.
    Hier auf der Burgmauer konnte sie, obwohl sie begriff, daß ihre Stadt verloren war, nicht recht glauben, was sie mit eigenen Augen sah.
    Sie war verblüfft. Jemals so erschüttert zu sein, hatte sie sich niemals vorstellen können.
    Die Zugbrücke senkte sich. Die Fallgatter gingen hoch. Das innere Tor wurde geöffnet.
    Burg Sylvarresta fiel, ohne daß der Gegner einen einzigen Mann Verlust zu beklagen hatte.
    Unter Jubelrufen ritt Raj Ahten in den inneren Hof gleich innerhalb der Großen Mauer ein, während Iomes Volk die Karren und Fässer, die überall in diesem Bereich herumlagen, zur Seite räumte. Hühner flatterten vor dem Wolflord davon.
    Wie habe ich so blind sein können? staunte Iome. Wie ist es möglich, daß ich die Gefahr nicht erkannt habe? Augenblicke zuvor hatte Iome noch immer gehofft, ihrem Vater möge es gelingen, Raj Ahten Widerstand zu leisten.
    Wie einfaltig ich bin.
    Neben ihr rief ihr Vater seinen Leuten zu, sie sollten sich ergeben. Er wollte nicht mit ansehen müssen, wie sie starben.
    Der frische Abendwind

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