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Dunkel ueber Longmont

Dunkel ueber Longmont

Titel: Dunkel ueber Longmont Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Farland
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der jetzt auf einer sauberen Pritsche lag.
    Sein Anblick war eine schmerzliche Erfahrung für sie, denn diese Wunde saß tief und hatte viele Jahre lang geschwärt.
    Chemoises Vater, Eremon Vottania Solette, war ein Unabhängiger Ritter, der sich durch Eid dazu verpflichtet hatte, den Wolflord Raj Ahten zu stürzen. Es war ein Eid, den zu leisten ihm vor sieben Jahren nicht leichtgefallen war an jenem Tag, als er Sylvarrestas Dienste verließ, um über die frühlingsgrünen Felder in das ferne Königreich Aven zu reiten.
    Es war ein Eid, für den er fast alles hatte aufgeben müssen.
    Chemoise wußte noch, wie aufrecht er im Sattel gesessen hatte, wie stolz er gewesen war. Er war ein großer Krieger gewesen, und das neunjährige Mädchen hatte ihn für unbesiegbar gehalten.
    Jetzt rochen seine Kleider nach schimmeligem Stroh und säuerlichem Schweiß. Seine Muskeln krampften sich sinnlos zusammen, das Kinn stieß an die Brust. Sie besorgte einen Lappen und etwas Wasser und begann ihn zu waschen. Er schrie vor Schmerzen, als sie seinen Knöchel streifte. Sie untersuchte ihn, sah, daß beide Beine entsetzlich zugerichtet waren. Die Haut an seinen Knöcheln war rot, die Haare abgescheuert.
    Raj Ahten hatte ihn in den vergangenen sechs Jahren in Ketten gehalten. Eine solche Behandlung der Übereigner war beispiellos. Sie staunte, daß er Jahre derartiger Mißhandlung überhaupt überlebt hatte. Hier im Norden wurden Übereigner verwöhnt, geehrt, liebevoll behandelt. Gerüchten zufolge benutzte Raj Ahten inzwischen Sklaven, um seinen Bedarf an Übereignern zu decken.
    Während Chemoise darauf wartete, daß die Köche Brühe aus der Küche brachten, hielt sie einfach nur seine Hand und küßte sie immer wieder. Er starrte aus gequälten Augen zu ihr hoch, unfähig zu blinzeln.
    Sie hörte einen Schrei aus dem Bergfried des Königs – jemand trat gerade eine Gabe ab. Um sich von dem Klagen abzulenken, fing sie leise an zu sprechen. »Ich bin so froh, Vater, daß du hier bist. Darauf habe ich so lange gewartet.«
    Die Haut um seine Augen verzog sich zu einem traurigen Lächeln, und er atmete schwer.
    Sie wußte nicht, wie sie ihm ihre Schwangerschaft erklären sollte. Sie wollte, daß er glücklich war, daß er glaubte, in ihrem Leben sei alles in Ordnung. Wie sie schwanger geworden war und die Prinzessin entehrt hatte, mochte sie ihm nicht erzählen. Sie hatte gehofft, ihr Vater würde die Wahrheit niemals erfahren müssen, und daß der schöne Schein ihm ein wenig Frieden bescherte.
    »Ich bin jetzt verheiratet, Vater«, sagte sie leise, »mit Unterkommandant Dreys von der Palastgarde. Er war noch ein Junge, als du aufgebrochen bist. Kannst du dich noch an ihn erinnern?«
    Ihr Vater drehte das Gesicht zur Seite, ein halbes Kopfschütteln. »Er ist ein guter Mann, so freundlich. Der König hat ihm Land hier in der Nähe der Stadt geschenkt.«
    Chemoise fragte sich, ob sie nicht zu dick auftrug.
    Unterkommandanten erhielten selten Grundbesitz. »Dort leben wir zusammen mit seiner Mutter und seinen Schwestern. Wir bekommen ein Kind, er und ich. Es wächst bereits in meinem Bauch.«
    Sie konnte ihm nicht die Wahrheit sagen, daß der Vater ihres Kindes durch die Hand Raj Ahtens gefallen war, konnte ihm nicht sagen, wie sie losgezogen war, um seinen Geist an jenen Ort zu rufen, wo sie ihn so viele Nächte geliebt und damit Schande über ihre Familie und die Prinzessin gebracht hatte.
    Sie traute sich nicht, ihm zu sagen, wie Dreys’ Wicht an jenem Abend zu ihr gekommen war, ein kalter Schatten, der jetzt in ihr steckte.
    In jener Nacht jedoch, als sie die ersten unruhigen Bewegungen des Kindes in sich gespürte hatte, war es ihr wie ein Wunder vorgekommen.
    Chemoise ergriff die Hand ihres Vaters, die zu einer Faust verkrampft war, strich seine Finger glatt, öffnete sie nach Jahren, in denen sie unnütz herumgelegen hatte. Ihr Vater drückte ihre Hand, ein Zeichen der Zuneigung und Dankbarkeit, aber er drückte zu fest. Wegen mehrerer Gaben der Muskelkraft hatte er einen Griff wie ein Schraubstock.
    Zuerst versuchte Chemoise, nicht darauf zu achten. Doch er wurde zu fest. Leise sagte sie: »Vater, drück nicht so fest zu.«
    Seine Finger zogen sich vor Angst noch mehr zusammen, und er versuchte, den Arm zurückzuziehen, um den Griff zu lockern. Wer Gaben der Anmut abgetreten hatte, konnte sich nicht entspannen, konnte seine Muskeln nicht so einfach strecken. Er packte ihre Hand noch schmerzhafter, so daß Chemoise sich auf

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