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Dunkel wie der Tod

Dunkel wie der Tod

Titel: Dunkel wie der Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P.B. RYAN
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nicht mehr schreiben werde wenn du mich nur einmal besuchst und mich dir sagen lässt wie leid es mir tut. Nur für ein paar Minuten damit ich dir sagen kann was ich dir schon vor langer Zeit gesagt hätte wenn ich ein bessrer Mann gewesen wär, so wie jetzt.
    Ich hätte nie gedacht, dass ich mal um was bitten würde, aber jetzt bin ich dehmütig und ich bitte dich. Bitte komm zu mir Nell. Nur einmal.
    Dein dir treu ergebener und dich aufrichtig liebender Duncan
    Unwillkürlich berührte Nell mit dem Finger die kleine Narbe an ihrer linken Braue, spürte die schmale, kaum einen Zentimeter lange Wulst sogar durch ihren Handschuh hindurch. Eine Schnittwunde, und keineswegs die schlimmste der Verletzungen, die Duncan ihr bei ihrer letzten Begegnung zugefügt hatte.
    â€žDu willst abhauen?“, hatte er gebrüllt, nachdem er sie zu Boden gestoßen hatte und auf sie eintrat. Er ließ nur kurz von ihr ab, um sich die Hose aufzuknöpfen. „Du kannst abhauen, wenn ich mit dir fertig bin!“ Während sie wild um sich schlug, hatte er sie weiter geprügelt, ihr das Kleid vom Hals bis zur Hüfte aufgerissen, an ihrem Mieder gezerrt. Er zerkratzt mir die Haut, war es ihr durch den Kopf geschossen … ihr Gesicht, ihre Brust …
    Dann sah sie die Klinge aufblitzen, sah winzige Blutstropfen auf sein Gesicht spritzen, und sie wusste, dass sie tot sein könnte, bevor das hier vorbei war – oder sich wünschen würde, sie wäre es.
    Nun, acht Jahre danach, lebte Nell noch immer, und Duncan verbüßte eine dreißigjährige Haftstrafe – allerdings nicht für das, was er ihr angetan hatte. Man hatte ihn wegen bewaffneten Raubüberfalls und schwerer Körperverletzung verurteilt, die er sich am Tag zuvor hatte zuschulden kommen lassen.
    Sein erster Brief, datiert auf den 15. Mai, hatte sie zugleich erschüttert und verwundert. Warum wollte er nach all diesen Jahren wieder Kontakt zu ihr aufnehmen? Und wie um alles in der Welt hatte er bloß herausgefunden, dass sie nach Boston gezogen war und in der Tremont Street lebte? Wie konnte er wissen, dass sie Gouvernante war und für die Hewitts arbeitete?
    Der Tonfall seines letzten Briefes – so aufrichtig, so reuevoll – beruhigte sie keinen Deut. Hatte Duncan es nicht schon immer verstanden, sie mit ein paar Worten oder kleinen Gesten vergessen zu lassen oder vielmehr darüber hinwegzusehen, wie er wirklich war? Er mochte ungebildet sein – aber dumm? Das wohl kaum. Oh, gewiss konnte er sich dumm stellen, wenn es ihm so passte, aber ein wahrlich dummer Mann hätte niemals so mühelos Nells Herz vereinnahmen können, hätte sie nie zu all dem überreden können, wozu er sie gebracht hatte, und sie hätte ihn niemals so ohne Sinn und Verstand lieben können.
    So aufrichtig und zerknirscht er von seinem ersten Brief an auch klingen mochte, Nell war nie in Versuchung geraten, ihm zu antworten. Er hatte sie einmal in seinem unerbittlichen Griff gehabt – sie würde ihm kein zweites Mal in die Falle gehen. Der zweite Brief war drei Wochen darauf eingetroffen und hatte sie noch mehr beunruhigt als der erste. Wenn du dir ein Herz fassen könntest mich zu besuchen, würde ich dir das alles selbst sagen können statt es wie ein Feigling hier auf das Papier zu schreiben. Bitte Nell …
    Bitte Nell … Bitte Nell … Bitte …
    So hatte sein gequälter und quälender Refrain während der letzten vier Monate geklungen. Komm mich nur einmal besuchen, nur einmal, dann wirst du nie wieder von mir hören müssen.
    Nell hatte sich angewöhnt, dem Briefträger aufzulauern, damit sie als Erstes den Stapel frisch eingetroffener Post auf dem großen Spiegeltisch in der Eingangshalle der Hewitts sichten konnte. Gott bewahre, dass jemand aus der Familie – oder Mrs. Mott! – einen an sie adressierten Brief entdeckte, auf dessen Rückseite „Massachusetts State Prison“ gedruckt stand.
    Als sie Mitte Juli Boston verlassen hatte, um wie jedes Jahr sechs Wochen mit den Hewitts auf deren Sommersitz Falconwood auf Cape Cod zu verbringen, hatte sie gehofft, eine Weile ihre Ruhe zu haben. Doch zu ihrem unsäglichen Verdruss erhielt sie nur eine Woche nach ihrer Ankunft einen Brief von Duncan, der an die Anschrift von Falconwood adressiert war. Es war, als ob er ein allgegenwärtiger, allwissender Gott wäre – oder sie zumindest glauben

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