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Dunkel wie der Tod

Dunkel wie der Tod

Titel: Dunkel wie der Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P.B. RYAN
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machen wollte, dass er das sei.
    Das Gespann blieb ruckelnd vor dem Gefängnistor stehen, das von zwei uniformierten Wachen flankiert wurde. Nell zeigte Violas Brief vor und sagte, sie sei gekommen, um den Direktor zu sprechen. Die beiden Männer winkten den Wagen durch und wiesen Brady in einen Innenhof, der von einem festungsartigen Gebäudekomplex umschlossen wurde. Nell stellte eine fast unheimlich anmutende Ähnlichkeit mit der Tuchfabrik fest. Es war das Verwaltungsgebäude, wo sich, nach Auskunft der Wachen, das Büro des Direktors befand. Links davon stand der eigentliche Gefängnisbau, noch abweisender und bedrohlicher als das Verwaltungsgebäude, mit eisernen Gitterstäben vor den Fenstern; aus zwei großen, wie Stallungen aussehenden Bauten zur Rechten drang lautes Gepolter und Gehämmer.
    â€žSoll ich mit reinkommen?“, erbot sich Brady, als er ihr aus dem Brougham half.
    Nell schüttelte den Kopf. „Nein, ich komme schon zurecht.“
    â€žSind Sie sicher, Miss?“
    Nein. „Ja, natürlich.“

5. KAPITEL
    â€žVirgil Hines?“ Der Gefängnisdirektor, ein beleibter rotwangiger Mann namens Clarence Whitcomb, ließ sich schwer in seinen Sessel zurücksinken, der laut unter der Last ächzte. „Gewiss nicht gerade, was man einen mustergültigen Gefangenen nennen würde, aber auch wieder nicht ganz so unverbesserlich wie manch anderer. Von eher … beschränktem Verstand, würde ich sagen, aber nicht völlig dumm. Auf seine Weise liebenswert. Von eher … nun ja, unbedachtem Wesen und redseliger als die meisten anderen hier. Man hörte ihn oft laut lachen, obwohl das keineswegs angezeigt war. Wir legen hier großen Wert auf Stille.“
    â€žWie interessant“, bemerkte Nell, die dem Direktor an seinem sich schier unendlich weit und breit erstreckenden Schreibtisch aus glänzend poliertem Walnussholz gegenübersaß. Die schweren Vorhänge waren zugezogen, und nur eine einzige Tischleuchte erhellte schwach die vorherrschende Düsternis des eichenholzgetäfelten Büros, in dem es eher Mitternacht schien als sonniger Nachmittag.
    â€žDie Stille ermöglicht es den Häftlingen, sich zu besinnen und zu bereuen“, erläuterte Whitcomb. „Besinnung, harte Arbeit, Gebete und Unterweisung – dies sind die Grundpfeiler des Gefängnislebens. Wenn sie zu uns kommen, sind sie verroht und ungezügelt. Unsere Aufgabe ist es nicht so sehr, sie zu strafen, als sie vielmehr auf den rechten Weg zurückzuführen. Indem wir in ihnen ein Bewusstsein für Ordnung wecken, bereiten wir sie wieder auf das Leben in unserer wohlgeordneten Welt vor.“
    Fast hätte Nell lauthals gelacht bei der Vorstellung, dass die Welt „wohlgeordnet“ sei. Doch sie beherrschte sich und meinte nur: „Eine anspruchsvolle Aufgabe.“
    â€žAber eine, die zu erreichen wir sehr stolz sind.“ Mr. Whitcomb nahm Violas Brief zur Hand, der offen vor ihm auf dem Tisch lag, und rieb dabei das dicke Pergamentpapier zwischen Daumen und Zeigefinger, als wolle er sich der Qualität vergewissern. „Sie sagten, dass Mrs. Hewitt ihn ausfindig machen wolle?“
    Nell nickte. „Er ist seit Sonntag verschwunden, gemeinsam mit Bridie Sullivan, einer jungen Frau hier aus der Gegend. Eigentlich ist es Miss Sullivan, die wir finden wollen – ihre Mutter ist völlig außer sich –, aber wir vermuten, dass wir auch sie finden werden, sobald wir ihn aufgespürt haben.“
    â€žAh ja. Na, das klingt ja vernünftig.“
    â€žWürden Sie sagen, dass er zu der Sorte von Männern gehörte, die … einer Frau etwas antun würden?“, fragte Nell.
    â€žNichts in seiner Vorgeschichte deutete darauf hin“, erwiderte Whitcomb. „Keine Anklagen wegen … ähm … derlei Verbrechen, die einen solchen Charakterfehler vermuten ließen.“
    â€žWas hat er denn verbrochen, um hierhergeschickt zu werden?“
    â€žEr hat in einer Teestube einer Dame ihr Retikül vom Garderobenhaken gestohlen. Ein Gelegenheitsdieb, der sich nahm, was immer sich anbot, mal hier ein Taschendiebstahl, mal da ein wenig Überredungskunst …“
    â€žÃœberredungskunst?“
    â€žBetrügereien, Tricksereien – alles im kleinen Stil, versteht sich. Um einen komplizierten Betrug auszuführen, braucht es etwas mehr Verstand. Soweit ich weiß, hat er nie eine Waffe

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