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Dunkel wie der Tod

Dunkel wie der Tod

Titel: Dunkel wie der Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P.B. RYAN
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gefühlt hätte, als sie ihm erst einmal aus dem Blick war.“
    â€žOh ja“, meinte Nell und lachte bitter, „das kann ich mir vorstellen.“
    Ihr Ton ließ Will aufhorchen. Er runzelte die Stirn. „Was jedoch nicht heißt, dass er etwas mit ihrem Verschwinden zu tun hätte.“
    Berührt und abgestoßen zugleich von Wills brüderlicher Loyalität, sagte Nell: „Aber es kam doch schon sehr gelegen, oder etwa nicht?“
    Er wandte sich ihr zu, einen Arm auf die Rückenlehne der Bank gestützt, wobei seine Finger leicht den samtenen Kragen ihres Mantels berührten. Ganz ruhig sagte er: „Sie ziehen die falschen Schlüsse, Nell – immerhin ist ja auch Virgil Hines verschwunden. Woher wollen wir wissen, dass die beiden nicht gemeinsam durchgebrannt sind? Oder dass nicht Hines seine Finger im Spiel hat, sollte es sich doch um ein Verbrechen handeln?“
    Nell hielt ihren Blick beharrlich auf Gracie gerichtet, holte einmal tief Luft und atmete langsam wieder aus. „Ich habe lediglich Harrys Motive in Erwägung gezogen, Will, und ihn keineswegs zum Abschuss freigegeben.“
    Er rückte ein wenig näher an sie heran. „Schauen Sie, ich weiß, dass Harry ein ziemlicher Mistkerl sein kann, unreif und selbstsüchtig. Und ich will auch gar nicht abstreiten, dass er moralisch etwas desorientiert ist …“
    â€žEr verfügt über keinerlei moralische Orientierung“, sagte sie scharf und fügte mit einer Unbekümmertheit, die sie keineswegs empfand, hinzu: „Vielleicht sollten Sie ihm im Zuge Ihrer Bemühungen um seine moralische Ausrichtung einen Kompass kaufen.“
    Will lächelte nicht. „Er ist kein Ungeheuer, Nell.“
    Sie schaute ihn an und meinte sehr ruhig: „Genau das hat Pfarrer Beals auch über Duncan gesagt. Es ist leider nur so, dass Ungeheuer nicht immer als solche zu erkennen sind. Jene, die ihr wahres Wesen am besten zu verbergen wissen, sind die schlimmsten Ungeheuer, da sie letztlich den größten Schaden anrichten.“ Weil ihr auf einmal bewusst wurde, wie schmerzlich all das für Will sein musste, fügte sie etwas sanfter hinzu: „Ich weiß, dass Harry Ihr Bruder ist und dass Sie eine gewisse brüderliche Verbundenheit mit ihm empfinden, aber er hat schlichtweg keine Vorstellung davon, was richtig und was falsch ist. Die Regeln, denen wir uns unterwerfen und nach denen wir leben, gelten für ihn nicht. Er ist selbstsüchtig, anmaßend, grausam …“
    â€žGrausam? Harry?“ Will lachte spöttisch. „Wenn Sie meinen, dass ihn gelegentliche Prügeleien in betrunkenem Zustand schon grausam machen, sollten Sie wissen, dass ich keinen Deut besser bin.“
    â€žWürden Sie eine Frau angreifen?“
    â€žNein, und auch Harry würde das nicht tun.“
    Nell sah Will seufzend an und schaute dann beiseite. „Wie sehr ich wünschte, dass Sie recht hätten.“
    â€žWen soll er denn angegriffen haben? Bridie Sullivan?“
    â€žNein“, sagte Nell. „Mich.“

9. KAPITEL
    Fassungslos sah Will sie an. Ein Regentropfen hing zitternd an der Krempe seines Hutes, fiel auf den Ärmel seines Fracks und versickerte in dem feinen schwarzen Wollstoff.
    Nell schaute zum Himmel hinauf, der so dunkel war wie zur Dämmerung. Schwere Wolken zogen dräuend wie dichte Rauchschwaden über ihr dahin. Ein Tropfen traf sie genau am Augenwinkel und lief langsam ihre Wange hinab. Sie senkte den Kopf und sah Will einen seiner Handschuhe ausziehen. Sachte fuhr er mit dem Daumen über ihre Wange, folgte der feuchten Spur des Regentropfens, bis er an den hohen Kragen ihres Mantels stieß.
    Sie drückte sich fest an die Rückenlehne der Bank, als er sich über sie beugte und nach den Schirmen griff, die sie an die Armstütze gelehnt hatte. Es gab ein leise zischendes Geräusch, als er den großen Schirm aufspannte und ihn Nell reichte. Dann rannte er mit dem kleinen rosafarbenen zu Gracie.
    Nell schloss die Augen, sog die feuchte Luft in sich auf und lauschte dem Regen, der auf die straff gespannte Seide des Schirms prasselte.
    â€žNell …? Alles in Ordnung?“
    Langsam öffnete sie die Augen wieder und sah Will vor sich stehen. Mit der einen Hand nahm er ihr den Schirm ab, die andere reichte er ihr.
    â€žAber ja“, erwiderte sie, ließ sich von ihm aufhelfen und erschrak schier, seine Berührung so

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