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Dunkel wie der Tod

Dunkel wie der Tod

Titel: Dunkel wie der Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P.B. RYAN
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warm auf ihrer bloßen Hand zu spüren. „Zu Beginn eines Unwetters fühlt die Luft sich nur immer so schwer an.“ Sie suchte in ihrer Manteltasche nach ihren Handschuhen und zog sie sich an.
    â€žOnkel Will läuft mit uns nach Hause“, verkündete Gracie unter ihrem kleinen rosa Regenschirm hervor. „Und er hat gesagt, ich darf vorausgehen.“
    â€žAber nur so weit, dass ich dich noch sehen kann“, ermahnte Nell sie.
    Er hielt den Schirm über sie beide und reichte Nell seinen Arm. Sie ließ sich von Will durch den Public Garden in Richtung des angrenzenden Parks führen, was der kürzeste Weg zurück zur Colonnade Row war. Gracie hüpfte vor ihnen her, eine Hand weit ausgestreckt, um die Regentropfen spüren zu können.
    â€žWas ist passiert?“, fragte er mit finsterer Miene. Durch den nun leicht feuchten Wollstoff hindurch spürte Nell die festen Muskeln seines Unterarms und seine Anspannung.
    Sie holte tief Luft, doch noch immer war ihr, als könne sie nicht richtig durchatmen. Es musste Will verletzen, die Wahrheit über seinen Bruder zu erfahren, aber an seiner Stelle würde sie davon wissen wollen. „Es war Mitte Mai. Harry wohnte schon seit bald zwei Monaten in dem Haus an der Commonwealth Avenue und war seitdem nicht mehr zu Hause zu Besuch gewesen – angeblich meinetwegen … weil es ihn so sehr empörte, dass ich ‚in aller Öffentlichkeit seine Unschuld anzuzweifeln wagte‘, wie er es ausdrückte, und er dennoch meinen Anblick ertragen müsse, sobald er das Haus seiner Eltern betrete.“
    â€žEs war wirklich in aller Öffentlichkeit, als Sie ihn …?“
    â€žEs war während einer Opernvorstellung im Tremont Temple, allerdings in der Privatloge Ihrer Familie. Ich bin mir sicher, dass niemand sonst gehört hat, was ich sagte. Im Nachhinein bedauere ich sehr, was ich damit Ihrer Mutter angetan habe. Sie hat sich gegen alle Widerstände dafür eingesetzt, dass ich meine Stelle behielt – und bei Gracie bleiben konnte, was mir noch viel mehr bedeutete –, doch dadurch hat sie nun noch einen weiteren Sohn verloren.“
    â€žJetzt übertreiben Sie aber wohl ein wenig.“
    â€žHarry war seitdem kein einziges Mal mehr zu Hause, Will, und auch in Falconwood hat er uns nicht einmal einen kurzen Besuch abgestattet, als wir im Sommer dort waren. Soweit ich weiß, hat Ihre Mutter ihn seit seinem Auszug nicht mehr gesehen.“
    â€žWas einzig Harrys Schuld ist und nicht Ihre. Das sehen Sie bestimmt genauso, oder?“
    â€žTheoretisch schon. Aber es tut mir jedes Mal wieder weh, wenn ich erfahren muss, dass Ihre Mutter ihn sonntags zum Essen eingeladen hat und nicht einmal eine Antwort bekommt. Und in der Kirche sieht sie ihn natürlich auch nie – wahrscheinlich ist er früher nur deshalb zum Gottesdienst gegangen, weil sein Vater ihn dazu genötigt hat.“
    Will – selbst ein Ungläubiger, der keine Kirche mehr betreten hatte, seitdem er in seiner Jugend dazu genötigt worden war – bewahrte taktvolles Schweigen.
    Der leichte Nieselregen war mittlerweile einem kräftigen Schauer gewichen, der den Park in ein verwaschenes Graugrün verwandelte. Die kleine Gracie war nurmehr als ein vergnügt herumhüpfender rosa Farbklecks zu erkennen.
    â€žIch wollte einen Waffenstillstand aushandeln“, sagte Nell, „selbst wenn ich mir dazu weitere Entschuldigungen abringen müsste. Eines Abends Mitte Mai bat ich Miss Parrish, ob sie nicht einmal Gracie ihr Abendessen geben könne, und lief hinüber zur Commonwealth Avenue. Ich hoffte Harry noch zu erwischen, bevor er ausging – und solange er noch einigermaßen nüchtern war. Ich traf ihn dann auch tatsächlich zu Hause an, aber … nun ja … Er saß an diesem endlos langen Hepplewhite-Tisch im Speisezimmer, aß zu Abend und spülte alles mit Absinth hinunter …“
    â€žMiss Sweeney“, sagte Harry mit schwerer Stimme, sein Glas in der einen Hand, sein Messer in der anderen. „Welch unerwartetes Vergnügen.“ Er machte keinerlei Anstalten, sich von seinem Stuhl zu erheben, sondern winkte nur seinen treuen Diener Edwin Speck hinaus, der Nell in das prächtig ausgestattete Speisezimmer geführt hatte.
    Trotz der angenehm lauen Abendluft war es in dem weitläufigen Raum stickig, da Harry alle Fenster geschlossen und die Wachstuchblenden hinter

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