Dunkel wie der Tod
â¦â
âEs wird kein nächstes Mal geben.â
âDas hoffe ich natürlich auch, aber wenn er mit seinem Absinthgenuss so weitermacht â¦â
âNein, ich wollte damit sagen, dass ich ihm nie wieder eine Gelegenheit geben werde. Ich beabsichtige nicht, jemals wieder mit ihm allein zu sein. Allerdings glaube ich auch nicht, dass es nur am Absinth liegt ⦠sondern vielmehr an Harry selbst.â
âWenn ich erlebt hätte, was Sie erlebt haben, würde ich wahrscheinlich genau dasselbe empfinden. Auf jeden Fall beruhigt es mich ein wenig, dass Sie sich so gut zu verteidigen wissen. Und dass Sie so clever sind.â
âClever?â Sie schüttelte den Kopf. âWäre ich clever gewesen, hätte ich mich gar nicht erst verteidigen müssen. Ich hätte es kommen sehen, lange bevor Harry zur Tat schritt, und mich davongemacht, noch ehe er überhaupt die Gelegenheit hatte, mir etwas zu tun. Nach allem, was mir mit Duncan geschehen ist, sollte man eigentlich meinen, dass ich derlei vorhersehen könnte.â
âDie Anzeichen sind nicht immer leicht zu erkennenâ, meinte Will. âManchmal ist es nur ein Blick, eine Bemerkung, eine Geste. Irgendetwas scheint nicht zu stimmen, ist anders, riecht anders, sodass einem der Nacken zu prickeln beginnt. Es kommt darauf an, Dinge zu bemerken, die anderen entgehen â gar nicht ständig und bewusst darauf zu achten, sondern eine gewisse Aufmerksamkeit zu verinnerlichen. So kann man Schwierigkeiten oft noch aus dem Weg gehen, bevor es zu spät ist.â
âVermutlich haben Sie diesen Instinkt in Andersonville entwickeltâ, sagte sie.
âEher noch an jenen Orten, wo die Angreifer nicht gar so eindeutig auszumachen, aber keineswegs weniger gefährlich sind â Hongkong, Paris, San Francisco, New York, New Orleans ⦠Ãberall, wo es Glücksspiel, Geld und Whiskey gibt. Und natürlich Opium. Man lernt, stets nach diesem unheilvollen Aufblitzen einer Klinge in der Dunkelheit Ausschau zu halten.â
âWollen Sie mir damit sagen, dass man derlei Schwierigkeiten umgehen kann, wenn man nur wachsam genug ist?â
Will lachte. âSchön wärs! Nein, aber ich habe gelernt, wie ich damit umzugehen habe, wenn es doch wieder passiert.â
âSie meinen, wie Sie sich zur Wehr setzen können?â
âWie ich mir einen kühlen Kopf bewahre, damit ich mich zur Wehr setzen kann.â
âMit den bloÃen Fäusten oder â¦?â Sie musste unwillkürlich an das kleine klappbare Skalpell denken, das er in einem ledernen Taschenetui stets bei sich trug â und mit dem er letzten Winter verdächtigt worden war, einen grausamen Mord begangen zu haben.
Er musste ihre Gedanken erraten haben und sagte: âIch benutze das Skalpell selten als Waffe â was nicht heiÃen soll, dass ich es nicht gelegentlich recht wirkungsvoll zücke, aber in der Regel genügen ein oder zwei gezielte Hiebe, und das Problem ist sauber aus der Welt geschafft.â
âNur ein oder zwei?â, neckte ihn Nell. âJetzt enttäuschen Sie mich aber, Dr. Hewitt. Ich hätte Sie für keinen solchen Aufschneider gehalten.â
Er schmunzelte. âUnd ich hätte nicht gedacht, dass Sie mich jemals mit einem so koketten Lächeln bedenken würde, Miss Sweeney â und ich kann nicht behaupten, davon enttäuscht zu sein.â
Sie errötete abermals â Will hatte wirklich ein Talent dafür, sie in Verlegenheit zu bringen! â, verdrehte belustigt die Augen und sah wieder zu Gracie hinüber, die mittlerweile das Knicksen übte.
âAn der Universität in Oxford gab es einen inoffiziellen Boxclubâ, begann Will zu erzählen, âwo ich bald feststellte, dass eine Reichweite von über zwei Metern einem durchaus gewisse Vorteile verschafft.â
âEine Reichweite von über zwei Metern?â, wiederholte Nell verständnislos.
âMeine langen Arme â fast schon affenartig. Ich glaube langsam, dass Darwin vielleicht doch nicht so unrecht hat. Während der letzten Jahre haben sie mir zumindest sowohl auf der StraÃe als auch im Ring gute Dienste erwiesen.â
Um sich von der Vorstellung abzulenken, wie Will irgendwo am anderen Ende der Welt einen messerschwingenden Angreifer abwehrte, kehrte sie zum eigentlich Thema zurück: âAn jenem Tag in Harrys Haus bin ich schlichtweg in Panik
Weitere Kostenlose Bücher