Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Dunkel wie der Tod

Dunkel wie der Tod

Titel: Dunkel wie der Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P.B. RYAN
Vom Netzwerk:
würde er mit einem Kollegen plaudern. „Ich habe ihn einfach mit seinem Schal bandagiert, was meinen armen Bruder ziemlich erzürnt hat – weil sich die Seide verziehen könnte. Er hat immerhin fünfzig Dollar dafür gezahlt, ob Sie das nun glauben wollen oder nicht.“
    Nell betrachtete Will schweigend und ließ die naheliegende Frage unausgesprochen: Haben Sie das getan?
    â€žNein, ausnahmsweise nicht“, antwortete er ihr dennoch durch eine Rauchwolke hindurch. „Diesmal war es jemand anders.“
    â€žWer?“, wollte Nell wissen.
    â€žIch weiß nicht, wer“, zischte Harry, „aber ich weiß, weshalb – Ihretwegen.“ Er hob sein Whiskeyglas und jammerte mitleiderregend, als der Alkohol in Berührung mit der Platzwunde an seiner Lippe kam.
    Adam, der den Wortwechsel verfolgt hatte, als würde er einem Theaterstück beiwohnen, hob sein Cognacglas und nahm ein Schlückchen, doch Nell hätte fast schwören können, dass sie seine Lippen in leichter Belustigung zucken sah. Dann stellte er das Glas wieder ab, wischte einen Tropfen, der sich an den Rand des Glases verirrt hatte, säuberlich mit seiner Serviette ab, faltete sie zu einem Dreieck zusammen und legte sie ordentlich neben das Glas auf den Tisch. Er hatte den schmalen weißen Kragen, der ihn als anglikanischen Geistlichen auswies, heute Abend nicht angelegt und trug stattdessen eine ganz normale Halsbinde – natürlich akkurat geknotet –, was sein Zugeständnis an den Ort ihrer Verabredung sein mochte.
    â€žMein Bruder ist vor ein paar Stunden hier aufgetaucht“, erklärte Will, „vernichtend geschlagen von jemand, dem er auf dem Heimweg von der Tuchfabrik in irgendeiner Destille in die Quere gekommen ist.“
    â€žJemand, dem Sie zufällig begegnet sind?“, fragte Nell und sah Harry an, der wirklich kein erfreulicher Anblick war. „Weshalb ist es dann meine Schuld?“
    â€žEr wollt’ was über Sie wissen“, nuschelte Harry. „Setzt sich neben mich an die Bar und fragt, was denn mit meiner Nase und dem Auge passiert ist. Ich hab ihm gesagt, dass mein Bruder und ich uns in die Haare geraten sind – wegen so einer kleinen irischen …“
    â€žHarry“, sagte Will warnend.
    Harry verdrehte die Augen. „Egal. Ich lass jetzt mal die Details weg, aber irgendwann hat er mich durch die Hintertür nach draußen gezerrt – und dann knallte auch schon eine Faust in mein Gesicht.“
    Der Kellner kam und stellte Nells Sherry vor sie auf den Tisch. Sie nahm das Glas, und genoss das nussig süße Aroma, das ihr in die Nase stieg. „Vermutlich hat er seinen Namen nicht genannt, oder?“, fragte sie.
    Harry schüttelte den Kopf und nahm einen Schluck Whiskey, zuckte vor Schmerz erneut zusammen, gab aber diesmal keinen Laut von sich.
    â€žWar er Ire?“, wollte sie wissen. „Vielleicht hat es ihm nicht gefallen, dass Sie mich so nannten – eine kleine irische … na, Sie wissen schon.“
    â€žDaran habe ich auch schon gedacht“, meinte Will, „aber Harry kann sich nur noch daran erinnern, dass er recht jung war – ungefähr in seinem Alter. Er trug eine Kappe, die sein Haar ganz bedeckte, und einen alten sackleinenen Mantel.“
    â€žUnd an den Füßen ein Paar klobige Schnürstiefel“, ergänzte Harry, „völlig schmutzig und ausgetreten. Ich dachte noch, lieber würde ich sterben, als mich mit solchen Schuhen sehen zu lassen.“ Mit trunkener Verträumtheit schaute er auf seine eigenen Füße, die von einem Paar auf Hochglanz polierter Balmorals geziert wurden. „Das waren die Schnürstiefel“, sagte er und tätschelte seine gebrochenen Rippen. „Als der Mistkerl mich am Boden hatte, fing er an auf mich einzutreten. Sehr unsportlich.“
    Will drückte seine Zigarette aus und schien sich nur mit Mühe ein Lächeln verkneifen zu können. „Kommt darauf an, was man unter Sport versteht.“
    Harry kippte seinen restlichen Whiskey hinunter und fluchte herzhaft, als seine Lippe ein weiteres Mal in Mitleidenschaft gezogen wurde. Dann holte er seinen Homburg unter dem Sessel hervor, setzte ihn auf und rückte ihn angemessen verwegen zurecht. „Entschuldige mich jetzt bitte, Bruderherz, aber du verstehst sicher, dass ich nicht den ganzen Abend in Anwesenheit einer Frau verbringen will, um deretwillen ich

Weitere Kostenlose Bücher