Dunkelheit soll dich umfangen: Thriller (German Edition)
anzusehen.
Scott wusste von den Versöhnungsrosen und von dem roten Kleid, das Jim Vanessa geschenkt hatte. Er wusste auch von ihrem kurzen Flirt mit dem Gin. Und er hatte einen Schlüssel zu ihrem Haus gehabt, bis sie die Schlösser ausgewechselt hatte.
Aber warum sollte Scott ihr etwas antun wollen? Warum sollte er den Wunsch verspüren, sie zu quälen?
Konnte es sein, dass er sie irgendwie für Jims Tod verantwortlich machte? In den ersten Jahren ihrer Ehe hatte sie sich manchmal gefragt, ob Scott womöglich mehr für ihren gutaussehenden Mann empfand als bloße Freundschaft. Aber es hatte nie auch nur das geringste Anzeichen dafür gegeben, dass Jim irgendetwas anderes war als durch und durch heterosexuell.
Dennoch, absolute Gewissheit hatte sie nicht. Gleichzeitig ärgerte es sie, dass sie Freunden, Verwandten und Arbeitskollegen auf einmal voller Misstrauen begegnete. Es machte sie wütend, dass sie sich nicht mehr sicher fühlen konnte, nur weil irgendjemand in ihrem Leben herumpfuschte.
Der Tag verlief so, wie alle Feiertage bei den Abbotts verliefen. Annette verbrachte die meiste Zeit in der Küche, und Dan saß vor dem Fernseher. Brian, Steve und Garrett sahen aus, als wären sie lieber woanders, und die Kinder lärmten im Haus herum.
Alle aßen zu viel, Garrett trank zu viel, und um drei Uhr nachmittags suchten Brian und Steve das Weite. Angeblich mussten sie arbeiten, obwohl Weihnachten war.
Nachdem sie weg waren, saßen Bethany, Dana, Annette und Vanessa am Küchentisch und redeten über Männer, Kinder und das Leben im Allgemeinen.
Vanessa konnte sich nur schwer auf das sprunghafte Gespräch konzentrieren. Immer wieder musste sie an die Brüder ihres Mannes denken. Ob einer von ihnen hinter all dem steckte, was passiert war?
Sie konnte es sich beim besten Willen nicht vorstellen. Die drei hatten ihren Schmerz und ihre Trauer geteilt, als Jim gestorben war. Warum sollte einer von ihnen ihr plötzlich übelwollen? Ihr Johnny wegnehmen wollen? Das Misstrauen ließ sie während der ganzen Weihnachtsferien nicht los.
Als Garrett anrief und fragte, ob Johnny sich den neuesten Actionfilm mit ihm ansehen wolle, erfand sie eine Ausrede, um ihren Sohn bei sich zu Hause behalten zu können. Als Brian anrief und vorschlug, dass Johnny über Nacht zu ihnen kam, lehnte sie wieder unter einem Vorwand ab.
Den Silvesterabend verbrachte sie mit Christian. Johnny schlief bei einem Schulfreund, dessen Eltern Vanessa kannte und denen sie vertraute. Sie und Christian läuteten das neue Jahr ein, indem sie sich ganz langsam und zärtlich liebten.
Viel zu schnell waren die Ferien vorbei, und Johnny musste wieder zur Schule, Vanessa zurück ins Büro.
Als sie zur Arbeit fuhr, hingen die Wolken tief, und Schnee lag in der Luft. Vanessa hatte während der vergangenen Woche immer wieder an Scott denken müssen, Scott, der Jim treu ergeben gewesen war, Scott, der so viele persönliche Details aus ihrem Eheleben kannte. War es möglich, dass er hinter den rätselhaften Ereignissen steckte? Schlimmer noch, dass er Andre, Matt und Gary umgebracht hatte?
Obwohl ihr Gefühl ihr sagte, dass das einfach nicht sein konnte, kam ihr Verstand nicht zur Ruhe. Wer sonst sollte es gewesen sein? Wenn Jim den Sprung von der Brücke tatsächlich nicht überlebt hatte, war es naheliegend, Scott zu verdächtigen.
Aber was, wenn Jim doch noch lebte? Der Gedanke verfolgte Vanessa, schnürte ihr die Kehle zu. Schon vor dem Sprung von der Brücke hatte er sie mit seinen irrationalen Anwandlungen zutiefst erschreckt. Welche verqueren Gedanken mochten seinen Geist jetzt erst beherrschen – falls er noch lebte?
Als sie Wallace Realty betrat, war ihr sofort klar, dass es ein schlechter Tag werden würde. Alicia hatte dicken grauen Lidschatten aufgetragen und deutete noch nicht einmal ein Lächeln an, als Vanessa zur Tür hereinkam.
»Ich wette, Sie hatten phantastische Weihnachten«, sagte sie zur Begrüßung, und in ihrer Stimme schwang unüberhörbar Verbitterung mit.
»Es war okay.« Vanessa hängte den Mantel auf und ging zu ihrem Schreibtisch. »Und Sie? Hatten Sie schöne Weihnachten?«
»Ich hatte beschissene Weihnachten, falls es Sie interessiert«, fauchte Alicia.
Jetzt reicht’s, dachte Vanessa. Sie hatte genug von Alicias schlechter Laune und spitzen Bemerkungen. Doch bevor sie explodieren konnte, flog die Tür auf, und Helen Burkshire stürmte herein.
»Puh, da draußen ist es kälter als am Nordpol«, rief sie. Sie
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