Dunkelmond
Worten zurück, als könne er nicht glauben, dass eine gemeine Straßendirne ihn auf diese Weise ansprach.
Auch Telarion spürte Ärger in sich aufsteigen.
Was maßte dieses Weib sich an, sich hier als Deuterin der AltenSchriften aufzuspielen? Immer noch saß sie mit geradem Rücken auf der Bank, die Tarind für sie hatte aufstellen lassen, und hielt dem Blick des Königs stand. In ihrer Miene lag etwas, das er nicht zu deuten vermochte. War es Stolz darüber, besser zu argumentieren als der König? Oder Befriedigung, dass ihr Gegner den Kürzeren zog?
Er war überzeugter denn je, dass sie mehr war, als sie vorgab zu sein, und wob den Zorn über ihre fehlende Demut in den Faden, den er um ihre dunkle Magie zu knüpfen gedachte.
Schneller, als das Auge sehen konnte, stand Tarind plötzlich vor ihr und hatte ihr Kinn in die Hand genommen. Er zwang ihren Kopf in den Nacken, sodass sie ihn ansehen musste.
Sie schluckte, schlug aber die Augen nicht nieder.
»Du bist kein Schankmädchen«, sagte der König leise und sah auf sie hinab, als sei die Antwort auf die von ihm unausgesprochene Frage in ihren bernsteinfarbenen Augen zu finden, die eine so seltsame runde und dunkle Pupille hatten.
»Was sollte ich sonst sein, Mendaron?«, fragte sie so ruhig wie möglich.
Tarind schüttelte den Kopf. »Versuch nicht, mich zu täuschen. Mein Zorn würde dir schlecht bekommen. Der Zaranth hat dich geschickt, um hier, in meiner Stadt, Aufruhr anzuzetteln.«
Er ließ sie wieder los. Verstohlen rieb sie sich die Wange, dort, wo sich seine Finger in ihre Haut gegraben hatten.
»Wie könnte ich allein wohl für Aufruhr sorgen?«, fragte sie.
Telarion fiel auf, dass diese Worte nicht mehr so selbstsicher klangen wie zuvor.
Tarind legte den Handrücken an ihre Wange. Sie zuckte zusammen, als die eisigen Finger sie berührten, blieb ansonsten aber beherrscht.
»Nun, vielleicht hast du nicht gesehen, was du ausgelöst hast, als du einem meiner Männer die Wassermagie mit einem Schlag ausbranntest, denn du bist geflohen. Dass du ihm so schaden konntest, ist ein Kunststück, das selbst die besten meiner Magiernicht vollbringen können. Es hat gedauert, bis die Bewohner dieser Stadt die eigentliche Wahrheit wieder anerkennen konnten.«
»Die Wahrheit?«, stieß sie hervor und versuchte, Tarinds Arm fortzustoßen. Seine ständige kalte Berührung war ihr zunehmend unerträglich. Doch der Elb war stärker als sie, und noch war sie zu stolz, um auf der Bank einfach von ihm abzurücken, und so ließ sie es notgedrungen weiter geschehen. »Man bittet vier Weise um die Wahrheit und erhält acht Antworten«, fuhr sie fort. »Welche Wahrheit ist die Eure?«
Als sie den Kopf abwenden wollte, legte Tarind seine Hand so auf ihre andere Wange, dass sie ihn nicht mehr wegdrehen konnte.
An ihrem Schaudern war zu sehen, dass Tarind nun begann, ihr die Magie zu entziehen.
»Die Wahrheit ist, dass die Kinder Akusus uns untertan sein müssen«, erklärte er. »Eure Magie unterstützt den Schöpfergeist des Chaos und der Zerstörung – und dieser ist nur darauf aus, den Werken der Ys und des Vanar, der das Geschenk des Lebens erhielt, zu schaden.«
»Wenn das so ist, wäre Euch wohl am besten gedient, wenn Ihr mich umbrächtet.«
Tarind lachte auf. »Dich töten? Nein. Ich werde dafür sorgen, dass deine Kraft uns gehört. Dem Volk des Vanar. Du wirst mir und meinem Bruder dienen, wenn wir nach Solife gehen und deinen Herrn unterwerfen, damit er uns das Heiligtum des Syth aushändigt.«
Sie sprang auf. »Das werde ich nie tun! Niemals!«
Tarind holte aus und schlug ihr mit der flachen Hand ins Gesicht. Sie fiel auf die Bank zurück.
»Ich werde dir keine Wahl lassen«, sagte Tarind kalt und packte erneut ihr Gesicht. »Ich werde dafür sorgen, dass deine Magie nur durch meinen Willen gelenkt wird. Sie wird dir nicht mehr gehorchen, denn du bist doch nur darauf aus, uns zu vernichten. Wenn du dich meinem Wunsch entgegenstellst, wird dich und dein Volk eine schlimme Strafe erwarten.«
In ihren Augen blitzte zum ersten Mal echte Furcht auf, zusammen mit der Erkenntnis, was mit ihr geschehen würde. Sie atmete schwer.
Tarind hob die Hand und gab Telarion das Zeichen.
Vorsichtig wand der Heermeister den langen Faden aus luftiger Kälte, den er gesponnen hatte, um die Flamme, die ein paar Klafter entfernt auf der Bank saß.
Die junge Frau sog scharf den Atem ein, als sie den eisigen Hauch spürte, der ihre Seele umschlang, und versuchte, sich
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