Dunkelmond
offenbar für ihn, den König, dorthin gestellt hatte. Ein Tisch mit glänzendem Werkzeug, um die Gefangene einzuschüchtern, stand daneben. Doch aufgrund des momentan blendenden Lichteinfalls würde sie davon kaum etwas erkennen können.
Sie schien sich ohnehin nicht dafür zu interessieren. Die junge Frau wandte dem Eingang des Gewölbes den Rücken zu. Aber Telarion wusste sofort, dass sie die ersten Strahlen der aufgehenden Roten Sonne genoss. Das immer rötlicher werdende Licht fiel durch die in etwa drei Klaftern Höhe angebrachten, schmalen Fensterschlitze, die das Deckengewölbe von den massiven Mauern aus grauem und violettem Granit trennten. Man hatte nur wenige Wände des Gewölbes durch schmale Streifen Maßwerk ersetzt; ein Streifen saß im Osten, einer im Westen. Dadurch strich beständiger Luftzug durch den Raum und kühlte ihn so aus, dass das Feuer, das von Schwarzsteinen gespeist wurde, ihn kaum erwärmen konnte.
Es war nicht zu erkennen, ob Tarind die junge Frau hatte anbinden lassen; Telarion hätte es getan. Sie war eine Feuermagierin. Vielen ihrer Art war das Feuer zu Kopf gestiegen, man konnte nicht wissen, was sie als Nächstes taten.
Augenblicklich jedoch saß die junge Frau nur reglos da und hatte das Gesicht zu den rötlichen Lichtstrahlen gedreht. Von seinem Standort aus konnte Telarion nur ihr Profil sehen.
Sie schien den gerade eingetretenen Heermeister nicht zu bemerken, weder schauderte sie unter der Kälte, die Telarion mit sich brachte, noch gab es Anzeichen, dass sie seinen rauchigen und trockenen Duft wahrnahm. Sie saß nur da und badete still im Licht, das die Mitte der Kammer wie eine Insel erhellte.
Telarion holte tief Luft, bevor er die schwere, eisenbeschlagene Tür so leise wie möglich hinter sich schloss und entschied, die Gelegenheit zu nutzen, die Gefangene genauer zu betrachten. Er umrundete den Raum entlang der Wand mit leisen Schritten und hielt sich dabei im Schatten.
Sie hörte ihn nicht. Sie saß aufrecht auf der Bank, und die Hände lagen zu beiden Seiten neben ihr auf dem altersglatten Holz, was sie für eine Menschenfrau groß wirken ließ. Wahrscheinlich würde sie ihm bis zum Kinn reichen, wenn sie stand. Ihre Kleidung entsprach ganz ihrer Stellung: abgetragen, mehrfach, wenn auch sorgfältig, geflickt und von verwaschenem Sandgelb und schmutzigem Weiß. Die Kleidung hatte unter ihrem Aufenthalt im Kerker gelitten; alten, ausgewaschenen Flecken waren neue hinzugefügt worden, eine Naht an der Schulter war aufgegangen. Ihre nackten Füße steckten in abgetragenen Pantoffeln, die vorne spitz zuliefen. Schuhwerk, wie es von Frauen an den südlichen Küsten des Saphirmeeres von Guzar und den Nomadinnen von Solife getragen wurde. Auch der darstan , den sie fest um die Haare geschlungen hatte, entsprach der Sitte, mit der die Kinder Akusus in dieser Gegend sich kleideten.
Obwohl sie ein paar Klafter entfernt von ihm saß, sah Telarion, dass ihre Augen geschlossen waren. Dennoch wirkte ihr Gesicht entspannt und strahlte Ruhe aus. Als das Licht zunehmend rötlicher wurde, schien ihre Haut, die gestern im gedämpften Licht der Fackeln kränklich fahl gewirkt hatte, aufzuleuchten. Sommerflecken bedeckten die nach oben gerichtete Nase und die Wangen.
Unwillkürlich hielt der Fürst bei diesem Anblick den Atem an.
Der süße Geruch eines blühenden Obsthains im Sommer stieg ihm in die Nase – er schien ein wenig frischer zu sein als gestern. Sicher ein Ergebnis des warmen Sonnenlichts, das nach dem Aufgang der Roten Sonne rosig wurde und zu dem leichten, heiteren Lächeln passte, das nun in den Mundwinkeln der Menschenfrau auftauchte. Für einen Augenblick glaubte Telarion, das Licht aufihrem Gesicht tanzen zu sehen, als freue es sich, darauf scheinen zu dürfen. Es liebkoste sie, als seien die Dunkelmagierin und das Strahlen der Roten Sonne eine untrennbare Einheit.
Der Anblick rührte an Telarions Herz. Er hatte erwartet, dem Tod und der fleischgewordenen Bosheit ins Auge zu schauen, wenn er es mit dieser Meisterin der Dunklen Magie zu tun bekam. Und nun saß ein Abbild blühenden Lebens, wie er selbst es nicht anmutiger hätte zeichnen können, vor ihm im Licht der Sonnen und schlug ihn, den Heiler, mit seiner Schönheit den Bann. Auf einmal erschien ihm der Gedanke abwegig, irgendjemand könnte solche Anmut verabscheuen.
Eine plötzliche Bewegung hinter ihm ließ ihn aufschrecken und riss ihn aus seinen Gedanken. Tarind hatte fast lautlos den Raum betreten
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