Dunkelziffer
Augenbraue hoch und sagte: »Au weia.«
»Also Schluss mit lustig«, sagte Holm. »Stellt fest, wer er ist, wer für eine solche Tat infrage kommen könnte und warum.«
Sie reichte Söderstedt die Mappe rüber, und er schob das Foto hinein. »Schlachtermesser?« »Klaviersaite, wie es scheint.«
»Heiliger Bimbam«, sagte Söderstedt.
»Jedenfalls ziemlich unmusikalisch«, sagte Holm und winkte ihre treuesten Untergebenen aus dem Zimmer.
Sie lehnte sich zurück, verschränkte die Hände im Nacken und grübelte über das Wort >Auslastungsgrad< nach. Konnte es Waldemar Mörners eigene Wortschöpfung sein? Wachsende Kritik an seinem abstoßenden Sprachgebrauch hatte ihn zum Besuch eines längeren Rhetorikkurses veranlasst, den er eigentlich nicht hatte machen wollen. Doch das Gerücht, dieses windschnelle Ungeheuer, behauptete, er sei sofort auf den Geschmack gekommen. Inzwischen drückte er sich äußerst respektabel, beinahe lyrisch aus. Was zwar etwas langweiliger war, aber den Vorteil hatte, dass er seine Lyrismen gern eine Spur zu weit spannte. >Auslastungsgrad< konnte also durchaus seine Schöpfung sein.
Als zwei Telefone gleichzeitig klingelten, fühlte Kerstin Holm sich ein bisschen überausgelastet. Auf dem Display ihres Handys erschien der Name >Bengt< - das Haustelefon dagegen war nicht in der Lage, seine Quelle anzugeben.
Also griff sie zuerst zu diesem. »Kerstin Holm hier, bleib einen Moment dran.«
Ich tue unglaublich viel, wenn man bedenkt, wie wenig dabei rauskommt, dachte sie, legte den Hörer des Haustelefons ab und meldete sich am Handy. »Hej, Bengt.«
»Kerstin«, sagte Bengt.
Die Stimme war es, ja. Die Stimme. Das Gefühl, dass etwas mit seiner Stimme nicht in Ordnung war. Schlimme Vorahnungen.
»Ja?«, sagte sie vorsichtig.
Vickan ist zurückgekommen. Du musst verstehen, dass das, was du und ich heute Nacht miteinander hatten, sich nicht wiederholen kann.
Sagte er nicht. Aber so hallte es in ihrem Inneren wider.
»Ich bin auf dem Weg zu Paul Hjelm. Ich will nicht, dass du es von jemand anderem hörst.«
»Zu Paul? Und wieso?«
»Es ist eine Anzeige wegen sexueller Belästigung gegen mich eingegangen.«
»Was sagst du da? Das ist nicht dein Ernst!«
»Du weißt, dass ich unschuldig bin«, sagte Bengt Äkesson unglücklich. »Eine halbe Stunde nach dem angeblichen Vorfall haben du und ich an meinem Herd gestanden, Lachs gebraten und uns berührt.«
»Und was willst du jetzt von mir hören?«
»Dass du mir glaubst. Und dass du mir die Daumen drückst.«
Kerstin Holm schwieg eine Weile und schüttelte dann den Kopf. Es kam ihr vor, als ob er sich löste und nach hinten fiele und an den Halswirbeln hängen bliebe. »Ich glaube dir«, sagte sie. »Und ich drücke dir die Daumen. Paul Hjelm wird aufgrund einer falschen Aussage kein Urteil fällen.«
»Nein«, sagte Äkesson. »Nein, vielleicht nicht. Ich muss jetzt Schluss machen, ich stehe vor seiner Tür. Ich drück dich.«
Dann war er weg. Kerstin schloss die Augen und dachte über das makabre Spiel des Zufalls nach. Leider zeigten die Zufälle eine Tendenz, Zusammenhänge zu bilden, wenn die A-Gruppe sich ihnen näherte. So viel hatte sie gelernt.
Dann griff sie nach dem Hörer des Haustelefons und sagte matt: »Ja?«
»Kerstin«, sagte Jorge Chavez umso energischer. »Was habe ich da über Paul gehört?«
»Gar nichts«, sagte Kerstin mit einer gewissen Schärfe. »Was gibt es?«
»Wir sind jetzt in Emily Flodbergs Computer.«
Einen kurzen Moment dachte Kerstin Holm an ihren persönlichen Auslastungsgrad.
Dann seufzte sie: »Ich komme.«
11
Das Trio war wieder versammelt. Die Frage war, ob das eine gute Idee war. Es war einfach so gekommen. Vielleicht verlieh es eine Art instinktiver Sicherheit, sich in einer Polizeiwache statt in der immer fremder werdenden Nähe des Waldes zu versammeln.
Allerdings hatten sie dort die ganze Schulklasse samt Anhang zurückgelassen. Sie dort weiter festzuhalten, ohne selbst an Ort und Stelle zu sein, war nicht ganz zu verantworten. Das konnte nicht lange so bleiben. Spätestens morgen würden sie die Truppe ziehen lassen müssen. Und dann würde sie sich über den gesamten Planeten verteilen - die Sommerferien hatten ja begonnen.
Aber es gab immer noch Fragen zu stellen. Das Problem war, dass sie noch nicht wussten, welche. Oder wem sie zu stellen waren.
Die Zeit drängte.
Und jetzt gab es eine Menge anderes zu tun.
Lena Lindberg öffnete ihre Tasche und hievte die neuen
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