Dunkle Beruehrung
sich zusammenreimen konnten, aber immerhin das tröstliche Wissen gezogen, dass die Experimente irgendwann in den Achtzigern aufgehört hatten.
Judith, das jüngste Mitglied der Gruppe, hatte ihnen darüber die meisten Informationen geliefert; sie hatte die Zerstörung einer Einrichtung überlebt, in der die Takyn als Kinder verwahrt worden waren, und ihre anschließende Flucht hatte ihre Erinnerungen daran unangetastet gelassen. Paracelsus, dessen Begabung ihm erlaubte, beim Berühren von Gegenständen in deren Vergangenheit zu schauen, war zu anderen aufgegebenen Einrichtungen im ganzen Land gereist, um weitere Takyn zu finden. Doch trotz seiner Begabung hatte er nur ermittelt, dass es konzertierte Bemühungen gegeben hatte, das Programm zu beenden und die Versuchsobjekte in der Allgemeinbevölkerung aufgehen zu lassen.
Und nun wollte GenHance das Experiment wiederaufnehmen, und Matthias und seine Leute waren darin verwickelt.
Sollte all dies ein aufwendig inszenierter Bluff von Matthias sein, um ihr Vertrauen zu gewinnen, wäre er zum Scheitern verurteilt. Zwar hatte sie, als sie ihn das erste Mal berührte, nichts Verwertbares gesehen, doch zu diesem Zeitpunkt waren die Umstände extrem und ihr Leben in Gefahr gewesen, sodass die Angst ihre Begabung beeinträchtigt haben musste. Nun aber, da sich die Lage beruhigt hatte und keine unmittelbare Bedrohung vorlag, brauchte sie ihn nur zu berühren und würde dann sicher – wie bei jedem anderen – die Wahrheit sehen.
Ihr erster Impuls, stets vor dem zu fliehen, was sie war, ließ nach, als sie daran dachte, was er im Wagen zu ihr gesagt hatte:
Sie sind nicht die Erste, die entführt werden sollte
. Wenn Matthias sie gefunden hatte, mochte er auch weitere oder sogar alle übrigen Takyn identifiziert haben. Sie konnte hier nicht weg, bevor sie nicht herausgefunden hatte, wie viel genau er über sie alle wusste; sich anders zu verhalten würde sie selbst, die Takyn und alle weiteren Kinder, an denen diese Experimente verübt worden waren, in Gefahr bringen.
Sie würde ihn von ihrer Bereitschaft überzeugen müssen, bei allem, was er geplant hatte, mitzumachen. Sein Vertrauen zu erringen war unabdingbar, aber das musste sie vorsichtig angehen. Sie durfte nicht zu schnell vorgeben, kooperativ zu sein, denn das würde er ihr sicher nicht abnehmen.
»Jessa«, erklang Matthias’ Stimme von hinten und sie fuhr zusammen. »Machen Sie Schluss – Rowan hat uns etwas zu essen gemacht.«
Los geht’s!
»Ich bin nicht hungrig.« In Wahrheit schob sie unglaublichen Kohldampf, aber sie durfte keinerlei Interesse zeigen, sich mit ihrem Entführer und dessen minderjähriger Freundin an den Abendbrottisch zu setzen. Noch nicht.
Er schaltete ihren Monitor aus. »Sie haben bestimmt Fragen. Die beantworten wir während des Essens.«
Sie fuhr mit dem Stuhl herum und sah ihn an. »Ein ›Nein‹ können Sie wohl nicht akzeptieren?«
Er lächelte. Waren seine Züge eben noch so asketisch wie attraktiv gewesen, sah er nun schlicht umwerfend aus. »In der Regel schon.«
»Sie haben sich mächtig ins Zeug gelegt, um all diese Informationen über die illegalen Aktivitäten von GenHance zusammenzutragen. Das ist sicher nicht einfach oder billig gewesen.« Sie wies auf den Computer. »Warum gehen Sie damit nicht zur Polizei? Er kann ja nicht alle bestochen haben.«
»Jonah Genaro ist so einflussreich und vermögend, dass sich das nicht kalkulieren lässt«, erwiderte Matthias. »Was er nicht schon beherrscht oder besitzt, kann er kaufen.«
»In einigen Staaten würde ihm das unbegrenzten Schutz vor Strafverfolgung garantieren, aber wir sind hier in den USA «, hielt sie ihm entgegen. »Hier herrscht Pressefreiheit, und Zeitungsreporter tun nichts lieber, als allmächtige Mogule wie Genaro zu demontieren.«
»Das würde er nie zulassen.«
Jessa fragte sich, aus welchem Land Matthias gekommen sein mochte, um zu glauben, ein Einzelner könne so viel Macht haben. Oder gehörte diese Überzeugung auch zu seinem raffinierten Plan? »Egal, wie groß sein Einfluss sein mag – indem Sie über diese Dinge schweigen, helfen Sie Genaro faktisch, GenHance zu schützen.«
Er beobachtete ihre Miene. »Was, glauben Sie, täten die Behörden dieses Landes, wenn sie die wahre Natur der Kyndred entdecken würden?«
Er klang wie ein verrückter Verschwörungstheoretiker. Das würde erklären, warum er sie in einen unterirdischen Bunker gebracht hatte. »Sie würden diese Leute … verhaften. Und
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