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Dunkle Flut

Dunkle Flut

Titel: Dunkle Flut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul S. Kemp
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einfiel, dass Marr gesagt hatte, er glaube, dass es sich dabei um eine Art Lift handeln würde. Unterwegs versuchte er, Jaden und Marr mit seinem Komlink zu erreichen, aber als Reaktion darauf erntete er lediglich einen Schwall statischen Rauschens. Möglicherweise schränkte die Energie der Station die bereits begrenzte Reichweite, in der die Komlinks ohne den Sendeempfänger der Schrottkiste funktionierten, noch weiter ein.
    Er blieb stehen, als er auf einen Haufen Leichen stieß – Lebewesen aller Art, niedergemetzelt, zerstückelt. Es gab überhaupt kein Blut, bloß die sterblichen Überreste uralter, vertrockneter Leichen. Ein rascher Blick verriet ihm, dass sich Jaden und Marr nicht unter den Toten befanden. Vermutlich waren die Leichen schon seit Jahrhunderten hier.
    »Jaden!«, rief er und ging vom Gehen in den Laufschritt über, ehe er ins Rennen verfiel. Es war riskant zu rufen – der Umbaraner konnte ganz in der Nähe sein, ohne dass es Khedryn möglich wäre, den verstohlenen Mistkerl zu entdecken. Doch das kümmerte ihn nicht. Er musste seine Freunde warnen. »Marr!«
    Die Fäden in den Wänden reagierten auf seine Rufe, loderten wie als Antwort auf seine Stimme rot und grün auf. Er umklammerte mit jeder Hand einen Blaster, beäugte argwöhnisch jeden Schatten und jede dunkle Ecke.
    Er glaubte, weiter vorn würde ihm eine Wand den Weg versperren, aber als er näher kam, teilte sich eine senkrechte Fuge in der Wand mit einem feuchten Laut und gab den Zugang in eine andere Kammer frei. »Stang!«, rief er und eilte hindurch.
    Die Tür schloss sich hinter ihm. Noch nie zuvor in seinem Leben hatte er sich so allein gefühlt.

12. Kapitel
    In dem Moment, in dem Soldat die Tür öffnete, strömte einem Luftstoß gleich ein Schwall dunkler Energie nach draußen, als wäre er jahrhundertelang hier eingepfercht gewesen. Soldat zog Anmut hinter sich her und stemmte sich vornübergebeugt dagegen, wie gegen eine heftige Bö.
    »Wir sind da«, sagte Seherin mit stiller Ehrfurcht in der Stimme.
    Vor ihnen dehnte sich eine große, ovale Kammer aus, deren hohe Decke sich in der Dunkelheit verlor. In den Wänden und im Fußboden glommen Fäden in Weiß, Grün, Rot und Gelb. Die farbigen Linien waren so dicht gebündelt, dass es schien, als würde die gesamte Oberfläche in Flammen stehen. Die Linien trafen sich allesamt bei einem zylindrischen Gebilde, das doppelt so groß wie Soldat war und in regelmäßigen Abständen anschwoll und in sich zusammensank wie ein Lungenflügel. Glühende Fäden, diesmal so dick wie Seile, wanden sich darum und verschwanden im Boden. Soldat spürte die Intelligenz darin, und schlagartig wurde ihm klar, was dies alles zu bedeuten hatte.
    Mutter war keine Person oder ein Ding auf der Station. Mutter war die Station, und sie sahen sich jetzt ihrem Herzen gegenüber.
    »Fühlst du sie?«, fragte Seherin mit einem wilden Grinsen. »Fühlst du sie, Soldat?«
    Seherins Fleisch, ihr krankes, befallenes Fleisch, pulsierte im selben Takt, in dem sich der Zylinder hob und senkte. Genau wie das von Anmut. Soldat legte dem Mädchen beschützend eine Hand auf die Schulter. Die andere Hand ruhte auf seinem Lichtschwert.
    Soldat fühlte Mutter nicht, aber Seherins ekstatischer Gefühlsrausch drängte gegen seinen Verstand, drohte, ihn zu überschwemmen. Er kämpfte dagegen an, gleichermaßen aus Gewohnheit wie mit Absicht. Dennoch wurde ihm klar, dass sie es geschafft hatten. Nach allem, was sie durchgemacht hatten, hatten sie es endlich geschafft. Seherin hatte recht gehabt. Mutter würde Seherin und Anmut heilen, würde Soldats Leben einen Sinn verleihen. Ihm traten Tränen in die Augen. »Wir haben es geschafft«, sagte er zu Seherin.
    Sie schaute lächelnd zu ihm herüber, und auch ihre Augen füllten sich mit Freudentränen. »Ja, das haben wir.«
    »Kann sie … uns heilen?«, fragte er.
    Sie berührte seine Wange, ehe sie sich umdrehte und die Kammer betrat. Soldat blieb mit Anmut, wo er war. Er fühlte sich unwürdig hineinzugehen.
    »Was ist das, Soldat?«, fragte Anmut.
    »Das ist Mutter«, entgegnete Soldat.
    Als Seherin näher kam, glühten die Fäden in den Wänden in organisierten Schleiern aus Rot, Weiß, Grün und Gelb auf, die kaskadenartig die Wände hinabwanderten und über den Boden glitten. Soldat fand sie hypnotisch.
    Anmut keuchte staunend. »So hübsch.«
    Soldat spürte Anmuts Ehrfurcht, ihr Erstaunen, und freute sich darüber, dass es ihm möglich gewesen war, sie zu Mutter zu

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