Dunkle Gebete
Autotür.
Und eine weitere Polizeisirene, eine, die – instinktiv wusste ich es – auf uns zukam. Wir hatten keine Zeit mehr.
Ich verließ den Park und ging zurück zu meiner Wohnung. Als ich aus der Gasse trat, konnte ich Schritte hören, die die Stufen vor der Haustür hinunterrannten; dann hämmerte jemand gegen die Tür. Ich ging ins Schlafzimmer, nahm den Rucksack und legte ihn wieder auf den Schrank. Heute Nacht würde ich nirgendwo hin fahren.
Ich musste vorher etwas erledigen.
58
Dienstag, 2. Oktober
Am nächsten Morgen zog ich mich sehr schick an. Ich trage nicht oft Röcke, aber ich habe ein paar Business-Outfits für Anlässe, bei denen der Job es erfordert. Das elegantere der beiden, ein dunkelblaues Kostüm aus einer Nobelladenkette, ist schlicht, aber edel. Dazu zog ich eine cremefarbene Bluse an und drehte mir das Haar am Hinterkopf zu einem Knoten zusammen. Es hätte beinahe eine Junganwältin sein können, die mir da aus meinem Schlafzimmerspiegel entgegenstarrte. Vom Hals abwärts, natürlich.
Mein Gesicht war noch immer eine Katastrophe. Meine Nase war geschwollen und verfärbt, und die beiden Veilchen, wenngleich verblasst, waren immer noch deutlich sichtbar. Man konnte die Fäden der Naht an meiner linken Schläfe sehen, und meine Lippen waren doppelt so groß wie normal. Joesbury hatte an jenem Abend im Krankenhaus nicht gelogen: Meine Verletzungen waren zu neunzig Prozent oberflächlich und heilten bereits. Trotzdem war ich noch immer kaum wiederzuerkennen.
Hat alles sein Gutes, wie es so schön heißt.
Ich verbrachte weniger als eine Stunde auf dem Revier, trank starken Kaffee und versuchte, genug Mut für das zusammenzukratzen, was mir bevorstand. Als die Polizei in der Nacht zuvor meine Wohnung verlassen hatte, war es fast zwei Uhr morgens gewesen. Sie hatten den Park und die Gasse gründlich durchsucht, aber nichts gefunden. Als sie schließlich fertig waren, schwebten die Worte »vergebliche Liebesmüh« praktisch über ihren Köpfen in der Luft. Ich hatte ihnen ja noch nicht einmal etwas Konkretes berichten können. Scharrgeräusche und Schritte. Das hätte alles Mögliche sein können. Jeder X-beliebige. Von der Musik sagte ich nichts. Das hätte bedeutet, mich zu vielen Fragen auszusetzen, auf die es keine Antwort gab. Ich trank eine dritte Tasse Kaffee, holte Mizon im Nebenzimmer ab und verließ das Revier.
Als Erstes standen die Kinder der Benns auf der Liste, deren Mutter am Vorabend in einem über und über mit ihrem Blut bespritzten Zimmer tot aufgefunden worden war. Aus Rücksicht darauf hatten wir eingewilligt, uns im Haus von Freunden mit ihnen zu treffen, wo die drei übernachtet hatten.
Felix Benn war sechsundzwanzig. Ich schätzte ihn auf einsachtundachtzig und sein Gewicht auf gute achtzig Kilo. Er war Sportler, das sah man an seinem Gang und daran, wie er die Schultern hielt, an den Muskeln, die durch das hellblaue Polohemd zu sehen waren. Außerdem war er blond, sommersprossig und hatte ein schmales Gesicht. Sein jüngerer Bruder Harry sah ihm ähnlich, war aber dunkler und vielleicht nicht ganz so groß. Die siebzehnjährige Madeleine war gertenschlank und hatte langes blondes Haar. Sie war die Einzige, die sichtlich geweint hatte. Ich stellte mich und Mizon vor und sprach ihnen mein aufrichtiges Beileid aus. Sie nickten und bedankten sich, drei höfliche, wohlerzogene junge Leute.
»Fällt Ihnen irgendein Grund ein, warum jemand Ihre Mutter hätte töten wollen?«, fragte ich, nachdem ich die grundlegenden Dinge abgehandelt hatte. »Wieso jemand Mrs. Jones umbringen sollte und Mrs. Weston auch – als Sie sie kannten, hieß sie Mrs. Briggs.«
Felix schüttelte den Kopf. »Meine Mutter hat nie jemandem etwas getan«, sagte er.
Ich wandte mich an Harry und Madeleine. »Sie wohnen doch beide noch zu Hause«, sagte ich. »Wie ist sie Ihnen gestern Morgen vorgekommen?«
Die beiden wechselten Blicke, dann sahen sie wieder mich an. »Morgens ist es immer ganz schön hektisch«, meinte Harry. »Aber sie schien okay zu sein.«
»Sie war stocksauer wegen dieser Journalistin«, sagte Madeleine leise. »Die, die sie andauernd angerufen hat.«
»Jemand hat sie angerufen?«, hakte ich nach.
Madeleine nickte. »Eine Reporterin. Hat wegen Geraldine und Amanda angerufen. Sie hat gesagt, sie redet mit mehreren Müttern von der Schule, sie wollte ein Gefühl dafür kriegen, was die Leute denken, ob sie Angst hätten.«
»Wann war das?«, wollte Mizon wissen.
»Es hat
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