Dunkle Gebete
Anschließend hatten sie sie gezwungen, sich ans Fußende des Bettes zu knien und jeden von ihnen oral zu befriedigen. So was nennt man einen Line-up, erzählte sie mir. Als das vorbei war, hatte der Älteste sie bäuchlings aufs Bett gedrückt und sie anal vergewaltigt. Erst als die Jungen gesehen hatten, wie stark sie blutete, hatten sie sie gehen lassen. Kurz bevor sie halb kriechend die Wohnung verließ, hatte Miles ihr Geld für den Bus nach Hause gegeben.
Wir wussten beide, dass dieser Fall niemals vor Gericht kommen würde. Rona kannte andere Mädchen, die dasselbe durchlitten hatten, sie wusste, wie so etwas lief. Wenn sie die Jungen anzeigte, würden sie das Geschehen entweder abstreiten, oder sie würden behaupten, sie hätte mitgemacht. Die Tatsache, dass sie bereits eine sexuelle Beziehung mit einem von ihnen gehabt hatte und freiwillig in seine Wohnung gekommen war, würde gegen sie sprechen. Die Jungen hatten Kondome benutzt, was ebenfalls ein gewisses Maß an Einverständnis andeutete. Selbst wenn sie angeklagt wurden – sie waren jung und konnten durchaus gegen Kaution auf freien Fuß gesetzt werden und wieder im Viertel aufkreuzen. Bestimmt hatten sie Freunde, die nur allzu gern potenzielle Zeugen einschüchtern würden. Wenn Rona sie anzeigte, würde sie nicht mehr sicher sein.
Als sie geendet hatte, ließ sich nur schwer sagen, wer von uns beiden erschöpfter war.
»Was kann ich für dich tun, Rona?«, fragte ich. »Ich verstehe, dass du im Augenblick keine Anzeige erstatten willst, aber kann ich sonst irgendetwas für dich tun? Brauchst du einen Arzt? Ich könnte es wahrscheinlich einrichten, dass du mit einem Therapeuten reden kannst, wenn du möchtest.«
Sie schüttelte den Kopf. »Können Sie jemanden beschützen?«
»Beschützen?«, wiederholte ich. »Dich?«
»Nein«, wehrte sie ab. »Da hat’s so Gerede gegeben, in der Schule. Die Mädchen sagen, er hat’s jetzt auf Tia abgesehn.«
»Tia?« Ich kam nicht mehr mit.
»Meine Schwester. Die sagen, Miles und die andern wolln sich als Nächstes Tia vornehmen.« Sie hielt inne, und zum ersten Mal hatte ich den Eindruck, dass sie den Tränen nahe war. »Miss Flint, Sie müssen was tun«, stieß sie hervor. »Sie is doch erst zwölf.«
12
Ich verabschiedete mich von Rona, ging zu Fuß zum Revier zurück und wusste, dass ich wahrscheinlich ebenso wenig in der Lage war, Tia zu schützen wie Rona.
Offiziell heißt es, dass Scotland Yard alle angezeigten Vergewaltigungen und Sexualdelikte ernst nimmt. Polizeisprecher weisen auf die Millionen an Steuergeldern hin, die in die Sapphire Units investiert worden sind. Die Wahrheit ist, dass die Polizei versagt und dass in ganz London junge Frauen und Mädchen im Regen stehen gelassen werden. Weil die, die das Problem anpacken könnten, sich schlicht nicht trauen, sich seiner wahren Natur zu stellen.
Was in den offiziellen Berichten und selbst in den meisten Pressedarstellungen nicht erwähnt wird, ist, dass Gruppenvergewaltigungen unter jungen Schwarzen besonders häufig vorkommen. Das ist etwas, was die Leute nicht hören wollen, doch die Anzahl der gemeldeten Fälle übersteigt bei Weitem alles, was demografisch zu erklären wäre.
Die jungen Frauen glauben, dass man nichts dagegen tun kann. Ihnen ist die Angst verhasst, in der sie jeden Tag leben, doch sie wissen, dass sie gegen diese jungen Männer machtlos sind. Und sie wissen ganz genau, dass niemand, nicht die Polizei, nicht die Allgemeinheit, noch nicht einmal ihre Eltern, etwas tun oder sagen werden, um ihnen zu helfen.
Und was würde ich dagegen unternehmen? Ganz ehrlich, ich wusste es nicht. Noch nicht.
Detectives arbeiten am Wochenende mit einer Notbesetzung, und ich rechnete damit, mein Zimmer in Southwark leer vorzufinden. Zu meiner Überraschung lehnte DC Pete Stenning an meinem Schreibtisch, das freche Grinsen bis zum Anschlag hochgefahren. Stenning und ich waren ein gutes Jahr im selben Team gewesen, bis er die Zusatzausbildung gemacht und sich erfolgreich für das MIT in Lewisham beworben hatte. Befreundet waren wir nicht – ich schließe keine Freundschaften mit Kollegen –, aber wir verstanden uns ziemlich gut. Normalerweise hätte ich mich gefreut, ihn zu sehen, doch ich ahnte, dass dies hier kein nettes Geplänkel werden würde.
»Ich wollte Sie gerade anrufen lassen«, sagte er, als ich zu ihm trat. »Die in Lewisham wollen Sie sprechen.«
»Ist das Opfer schon identifiziert worden?«, fragte ich, als Stenning vom
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