Dunkle Gewaesser
Sonne hoch am Himmel, und wir erkannten noch immer nichts wieder. Wir wussten nicht so genau, wie lange wir schon unterwegs oder wie weit wir gekommen waren, aber wir schätzten vier, vielleicht fünf Stunden. Wären wir auf flachem, trockenen Land gewesen, hätten wir wahrscheinlich schon die ganze Strecke zurückgelegt, aber der Sumpf hielt uns auf und laugte uns aus, weshalb wir froh waren, als wir ein Waldstück erreichten und den Matsch hinter uns lassen konnten.
Die Kiefern standen hier weit auseinander. Wir konnten hindurchschauen, und auf der anderen Seite entdeckte ich die Kirche, wo der Reverend gepredigt hatte. Wir waren weiter oben rausgekommen als erwartet. Die Steigung war so schwach gewesen, dass ich davon gar nichts gemerkt hatte. Wir befanden uns ein ganzes Stück oberhalb des Hauses.
Wir gingen rüber zur Kirche. Die Eingangstür stand offen; drinnen hatten welche von den Christen die Wände beschmiert. EhebrEchÄr stand da in großen schwarzen Buchstaben, und woanders wurde dargelegt, was der Reverend mit einem Esel treiben würde; das war, wie ich wusste, jedoch gelogen. Seit wir hier waren, hatten wir noch keinen einzigen Esel gesehen.
»Rechtschreibung ist nicht ihre Stärke, was?«, sagte Terry.
Wir gingen wieder raus, blieben unterhalb der Kirche stehen und schauten den Pfad runter zur Hütte. Auch dort stand die Eingangstür noch offen, und drinnen brannte die Laterne. Der Wagen von Constable Sy hatte sich nicht von der Stelle bewegt.
»Meinst du, der wartet im Haus?«, fragte Terry.
»Keine Ahnung. Komisch, dass er dageblieben ist. Vielleicht sucht er nach dem Geld.«
»Das findet er nicht.«
»Wenn es noch immer in deinem Beutel auf dem Boden rumliegt, braucht es keinen preisgekrönten Bluthund, um es zu erschnüffeln.«
»Ich hab’s woandershin getan.«
»Wohin denn?«
»In den Werkzeugschuppen.«
»Den hat der Reverend doch immer abgeschlossen.«
»Ich weiß, wo er den Schlüssel versteckt hat. Das hat mich überhaupt erst auf die Idee gebracht.«
»Nun sag schon, wo hat er ihn versteckt?«
»Das ist ja das Dumme. Das Geld und May Lynn sind nicht mehr im Haus, aber der Schlüssel – in einer Ritze im Türrahmen vorne. Als der Reverend mal nicht da war, hab ich ihn mir ausgeliehen, weil ich in den Schuppen schauen wollte. Ich dachte mir, vielleicht hat er ja einen Grund, warum er ihn abschließt. Aber da gab’s nur etwas Bauholz, ein Haufen gutes Werkzeug und eben ein Versteck für das Geld und die Asche.«
»Also müssen wir doch am helllichten Tag da runter. Genauso gut können wir uns nackt ausziehen, knallrot anmalen und laut schreiend über den Acker rennen.«
»Das wird nicht ganz einfach«, erwiderte Terry. »Woher sollen wir denn die Farbe nehmen?«
»Ha.«
Wir machten einen Bogen um das Haus und versteckten uns ganz in seiner Nähe am Waldrand. Da standen wir dann rum und glotzten durch die Gegend. Unten war es so still, als hielte ein Taubstummer dort sein Mittagsschläfchen. Inzwischen war es auch richtig hell geworden.
»Was ist denn das dort auf der Veranda?«, fragte Terry.
Ich starrte eine ganze Weile rüber. »Sieht aus, als hätte da jemand schwarze Farbe ausgekippt.«
»Wie soll die denn auf die Veranda kommen?«
»Oben in der Kirche, das war auch schwarze Farbe. Vielleicht wollten sie sich auch in seinem Haus verewigen.«
»Das bezweifle ich«, sagte Terry.
»Yeah. Ich auch.«
Ich weiß nicht, wie lange wir da rumstanden und Augen und Ohren aufsperrten, aber irgendwann wurde die Neugier einfach zu stark. Ich zog die Pistole aus meiner Latzhose, und wir schlichen uns den Hang runter. Auf der Veranda, direkt vor der Tür, befand sich der schwarze Fleck, den wir gesehen hatten, und aus der Nähe konnte ich erkennen, dass das keine Farbe war – sondern getrocknetes Blut. Und zwar eine ganze Menge.
Ich spannte den Hahn des Revolvers, und wir gingen lautlos zum Fenster rüber und schauten rein. Onkel Gene lag auf dem Bauch auf dem Boden. Der Kopf saß ihm noch immer verdreht auf den Schultern, und er starrte mich direkt an. Seine trüben Augen sahen aus, als hätte sie jemand mit Schleifpapier bearbeitet. Jinx hatte recht. Der Reverend hatte ihm ganz schön eins übergezogen.
Constable Sy lag, mit einem Seil festgebunden, auf dem Rücken auf dem Tisch. Von dort war auch das Blut runtergetropft, und der Boden war offenbar schräg, denn es war Richtung Wand und zur Tür rausgelaufen. Ich hatte nicht gewusst, dass in einem Menschen so viel Blut
Weitere Kostenlose Bücher