Dunkle Gewaesser
Kleider noch immer feucht, und es fühlte sich gut an. Ich roch etwas Gekochtes und bekam schreckliches Bauchgrimmen. Da entdeckte ich einen großen Topf, der auf dem Feuer stand und in dem es heftig blubberte.
Ich blickte in die Runde. Flammenschein flackerte über fremde Gesichter. Am Lagerfeuer saßen ein vielleicht sechsjähriges Kind und außerdem ein Junge und ein Mädchen, die beide schon etwas älter waren. Die Frau war etwa im gleichen Alter wie Mama, und bei Tageslicht, mit einem schicken Kleid und hochgesteckten Haaren, hätte sie bestimmt hübsch ausgesehen. Die beiden Männer trugen verschlissene Klamotten und Hüte. Der eine, der im gleichen Alter war wie die Frau, war vermutlich ihr Mann, und der ältere von beiden sah ihm so ähnlich, dass er wohl sein Vater war. Die alten Anzugjacken, die sie anhatten, waren für das Wetter nicht besonders geeignet, aber vielleicht gab es ja einen Grund, warum sie sie dabeihatten, und dann waren sie so am besten aufgehoben. Neben dem Feuer lagen mehrere Bündel, und es brauchte nicht viel Hirnschmalz, um zu erkennen, dass sie kein Dach über dem Kopf hatten und sich mehr recht als schlecht durchschlugen, so wie wir auch.
»Wir hatten einen Unfall auf dem Fluss«, sagte ich. »Unser Floß ist im Gewitter auseinandergerissen worden, und wir wären fast ertrunken. Einem von uns hat es die Fingerkuppe abgehackt, und seine Hand ist geschwollen.«
»Abgehackt?«, fragte die Frau.
»Jawohl, Ma’am, er ist damit irgendwo hängen geblieben, als sich das Floß aufgelöst hat, und da ist es passiert. Seither sind wir zu Fuß unterwegs.« Das war natürlich gelogen, aber ich wolltenicht extra darauf hinweisen, dass wir von einem Verrückten mit einer Axt verfolgt wurden.
»Wir sind mit dem Zug hergekommen«, sagte der ältere Mann. »Nicht genau hierher, sondern weiter hinten« – er deutete mit dem Finger – »auf der Anhöhe. Da hat der Zug langsamer gemacht, und wir konnten runterspringen. Wir haben es in dem Waggon einfach nicht mehr ausgehalten. Nach einer Weile hat man das Gefühl, immer noch durch die Gegend zu fahren, selbst wenn man längst wieder festen Boden unter den Füßen hat. Bei mir hat das jetzt erst nachgelassen. Allerdings bin ich mir nicht mehr so sicher, ob es eine gute Idee war, da runterzuspringen. Jetzt hocken wir hier im Wald und wissen nicht, wohin. Vielleicht wären wir doch besser weitergefahren.«
»Wir sind ein Stück gelaufen«, sagte die Frau.
»Wir überlegen, ob wir nicht den nächsten Zug nehmen sollen, der hier durchkommt«, sagte der ältere Mann, »auch wenn das kein guter Platz dafür ist.«
Ich schaute zum Wald rüber – also führten die Schienen nur etwa dreißig, vierzig Meter von hier vorbei.
»Wann kommt denn der nächste Zug?«, fragte ich.
»Wir haben keinen Fahrplan«, erwiderte der jüngere Mann. »So lange machen wir das noch nicht. Früher hatten wir Arbeit, aber das wurde immer schwieriger, und jetzt sind hinter jedem Job fünfzig Mann her.«
»Jud«, sagte die Frau, »sie hat nur eine Frage gestellt. Unsere Lebensgeschichte interessiert sie bestimmt nicht.«
»Schon gut, Ma’am«, sagte ich.
»Wir waren oben in Oklahoma, als das mit den Staubstürmen losging«, sagte der ältere Mann. »So was hab ich noch nicht erlebt.«
»So was gab’s auch noch nie«, sagte Jud.
»Nein«, stimmte der alte Mann zu. »Noch nie.«
»Das wollen die Mädchen doch gar nicht hören«, sagte die Frau, doch der alte Mann kam jetzt erst richtig in Fahrt.
»Am Anfang«, sagte er, »sah es so aus, als würden sich am Horizont Regenwolken bilden, nur die Farbe war merkwürdig, und sie waren auch zu dicht am Boden. Es kam immer näher, und ich dachte: ein Wirbelsturm. Aber da hab ich mich geirrt. Das war, als würde der Wind riesige Knäuel aus schmutziger Baumwolle vor sich herschieben, Knäuel, die größer waren als ein Haus und breiter als eine ganze Stadt. Das war alles Sand. Die Vögel flogen vorneweg, so schnell sie nur konnten. Und dann war der Sturm da. Er krachte gegen das Haus und schlug die Fenster ein. Glas und Erde flog überallhin. Die Vorhänge wurden weggerissen. Es wurde finster, so finster, dass wir einander nicht mehr sehen konnten. Und es hörte gar nicht mehr auf. Wir lagen auf dem Boden und husteten. Und als es vorbei war, gingen wir raus und schauten uns die Felder an. Da wuchs kein einziger Grashalm mehr. Sah aus, als hätte der Sturm alles mitgenommen, auch den Boden. Die ganze gute Erde war weg, weiß
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