Dunkle Gier: Roman (German Edition)
das einzig Richtige tat. Zweimal ertappte sie sich dennoch dabei, dass sie aufs Ufer zupaddelte, als wäre es ihre Absicht umzukehren.
Sie konnte froh sein, dass der Regen den Fluss hatte anschwellen lassen. Nun war die Strömung stark und trug sie sogar weiter, wenn ihre Arme sich weigerten mitzuhelfen, sie noch schneller von Zacarias wegzubringen. Ihr Unbehagen wuchs, und der Schmerz griff von ihrem Herzen auf ihren ganzen Körper über. Ihr zitterten die Beine, ihre Arme wurden schwer wie Blei, ihr Gaumen war wie ausgedörrt.
Er war tot. Zacarias de la Cruz war tot, und weil sie ihn verlassen hatte, trug sie irgendwie die Schuld daran. Der Gedanke schlich sich ungebeten in ihr Bewusstsein und ließ sich nicht mehr daraus verdrängen. Kummer übermannte sie und machte sich sogar körperlich bemerkbar. Ihre Brust wurde so eng, dass sie kaum noch atmen konnte. Tränen traten ihr in die Augen und ließen ihre Sicht verschwimmen. In ihren Ohren herrschte ein furchtbares Geschrei: ihr eigener stummer Protest gegen Zacarias’ Tod.
Aber – er war doch ein Vampir, oder nicht? In einem verzweifelten Wettlauf versuchte sie, den Besitz der Brüder de la Cruz noch vor ihm zu erreichen, um die Jäger herbeizurufen, damit sie ihn töteten. Falls er also schon tot war, müsste sie sich dann nicht freuen, statt zu weinen? Verwirrt zog Marguarita das Paddel ins Boot und konzentrierte sich aufs Atmen. Zacarias hatte ihr mehrere Male Blut gespendet. Seiner schnellen Reaktion verdankte sie ihr Leben, als der Vampir ihr die Kehle zerfetzt hatte. Das hatte Cesaro ihr erzählt. War da irgendetwas in Zacarias’ Blut, das sie selbst im Tod noch aneinanderband? Beim letzten Mal hatte er sie sogar gezwungen, sein Blut zu nehmen.
Marguarita presste die Lippen zusammen. Sie war stark, und sie würde keinen wilden Vermutungen erliegen. Sie hatte eine Mission zu erfüllen. Was immer ihre merkwürdigen Gefühle zu bedeuten hatten, sie mussten Einbildung sein. Das Einzige, was sie interessieren durfte, war, die geliebten Menschen auf der Hazienda zu retten. Der Regen wurde wieder heftiger, der sanfte Nieselregen steigerte sich zu einem erbarmungslosen Wolkenbruch. Sie musste zu dem größeren Fluss und auf dessen andere Seite zum Land der Familie de la Cruz gelangen, um die Jäger herbeizurufen. Der sich sehr schnell bewegende Strom trug Marguarita mit hoher Geschwindigkeit durch den Regenwald, um sie in dem breiten, angeschwollenen Amazonas abzuladen.
Ihr Herz begann fast schmerzhaft hart zu pochen. Sie musste aufpassen, wenn sie das hier überleben wollte. Das Donnern des Flusses war ohrenbetäubend und übertönte jedes andere Geräusch. Das Kanu wurde um eine Kurve getrieben, und das Wasser schoss sogar noch wilder und schneller dahin. Sie durfte jetzt nicht an Zacarias oder Vampire denken. Das einzig Wichtige war, das Paddel in Bewegung zu halten, um nicht gegen die vor ihr aufragenden Felsen geworfen zu werden.
Sie hatte Julio sicher hundert Mal das Kanu durch diese heimtückische Reihe plötzlicher Abfälle und Felsen manövrieren sehen und hatte gelacht und die Erregung und den Nervenkitzel des Moments genossen. Aber sie hatte sich auf die Fähigkeiten ihres Freundes verlassen und blind darauf vertraut, dass er jeden vor ihnen liegenden Felsen kannte. Bei sich selbst war sie da nicht so sicher. Julio hatte ihr ein paarmal erlaubt, es zu versuchen, doch da war es nicht dunkel und die Strömung nicht so schnell gewesen.
Marguarita umklammerte das Ruder noch fester und rief ihre neuen Reflexe zu Hilfe. Ihre Augen brannten vor Anstrengung, als sie sich der Reihe von Felsen näherte, die sich aus dem schäumenden Strom erhoben. Während sie noch tief ausatmete, um sich für die wilde Fahrt zu entspannen, spürte sie schon den ersten Abfall des Kanus, als es in den Gesteinsgarten trieb. Sie rief sich jedes komplizierte Manöver in Erinnerung, das Julio ihr gezeigt hatte, führte es so sorgfältig aus, als säße er bei ihr im Boot, und rief die einzelnen Bewegungsabläufe auf. Schon fiel sie ab, verlagerte das Gewicht und umrundete den ersten Felsen, um perfekt ausgerichtet auf das Tor zum nächsten Abfall zuzuschießen.
Schäumend weiß schien das Wasser um sie herum in der trüben Dunkelheit zu kochen. Der Regen prasselte auf den Strom, und ohne ihre geschärfte Sicht wäre Marguarita nicht imstande gewesen, die enge Durchfahrt zu bewältigen, die sie nehmen musste, um einen besonders heimtückischen Felsen zu umfahren. Der
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