Dunkle Gier: Roman (German Edition)
brauchte. Die Arbeiter waren ihm gegenüber alle misstrauisch. Da Marguaritas Tanten und Onkel auf den verschiedenen Haziendas der Familie de la Cruz in ganz Südamerika arbeiteten, kannte sie den Klatsch über die Brüder und wusste, dass nur wenige Zacarias je gesehen hatten. Er war jahrhundertelang vollkommen allein gewesen.
Marguarita blieb mit dem Rücken zu ihm stehen, weil sie befürchtete, dass ihr Mitgefühl sich auf ihrem Gesicht abzeichnen würde. Sie fürchtete ihn – aber das bedeutete nicht, dass er ihr nicht leidtun konnte. Niemals hätte sie ein Leben wie das seine gewollt, doch er hatte es über tausend Jahre ertragen. Wahrscheinlich hätte er den Tod begrüßt, und sie hatte ihm sogar diesen Trost genommen. Sie musste einen Weg finden, eine solidere Verbindung zu ihm herzustellen, damit sie nicht jedes Mal zusammenzuckte, wenn er in ihre Nähe kam. Das Klügste wäre wahrscheinlich, ein bisschen mehr über ihn herauszufinden, um sich ungezwungener mit ihm fühlen zu können.
Wie kommt es, dass ich deine Emotionen spüren kann, du jedoch nicht?
Ein Schweigen entstand. Marguarita wappnete sich, bevor sie sich zu ihm umdrehte. Die Strapazen der jahrhundertelangen Kämpfe gegen Untote und deren Verfolgung von einem Land ins andere, um die Einwohner vor ihnen zu beschützen, spiegelten sich in den tiefen Linien in seinem Gesicht wider. Er stand dort an der Spüle und beobachtete sie mit diesen Augen, die einen Kummer in sich trugen, den er weder erkannte noch verstand.
Es gab keinen Ort, an dem er vollkommen entspannt und verwundbar sein konnte, an dem er geliebt, beschützt oder sicher war. Marguarita hatte plötzlich das Bedürfnis, ihn in die Arme zu nehmen und an sich zu drücken, doch dazu müsste sie erst um Erlaubnis bitten, und diesen Fehler würde sie nicht noch einmal begehen.
Und so breitete sich Schweigen zwischen ihnen aus, das erst wieder von dem Pfeifen des Wasserkessels unterbrochen wurde. Marguarita goss das kochende Wasser in die hübsche kleine Teekanne ihrer Mutter. Das Tongefäß war rechteckig und mit handgemalten peruanischen Pasos verziert, die mit wehenden Mähnen und Schwänzen über eine grüne Wiese galoppierten. Sie liebte diese Kanne, die ihre Mutter vor so vielen Jahren für sie angefertigt hatte, und passte immer sehr gut darauf auf. Wenn sie sie benutzte, fühlte Marguarita sich ihrer Mutter näher – und getröstet, so wie jetzt. Sie konnte sich nicht vorstellen, dass Zacarias etwas Vergleichbares in seinem Leben hatte.
»Mir war nicht bewusst, dass du meine Emotionen spüren kannst«, gab er schließlich beinahe widerstrebend zu.
Sie drehte sich wieder zu ihm um, lehnte sich an den Küchenschrank und sah ihm prüfend ins Gesicht. Es war erstaunlich, dass er so streng und hart aussehen und trotzdem noch so ungeheuer attraktiv sein konnte. Sein Haar war lang, sogar für einen Karpatianer, fast so lang wie ihr eigenes. Ein paar graue Strähnen betonten noch die dunkle Farbe: Sein Haar war schwarz wie die tiefste Nacht. Und es war auch nicht glatt, sondern wellig genug, um sich zu langen, spiralförmigen Locken zu verdrehen unter dem Lederband, das es zusammenhielt. Die Locken ließen ihn nicht weicher erscheinen, aber auf jeden Fall noch sehr viel attraktiver.
Zacarias schien sich auch nie wirklich wohlzufühlen oder zu entspannen. Immer war ihm irgendwie anzusehen, was er war – ein Jäger. Oder schlimmer noch, ein Killer. Niemand würde ihn je mit etwas anderem verwechseln, doch vielleicht gewöhnte sie sich langsam an seine Gegenwart, denn ihr inneres Zittern hatte endlich aufgehört.
Ja, das kann ich , nahm Marguarita den Faden wieder auf.
»Erklär es mir!«
Er wirkte aufrichtig verwundert, aber wie sollte sie es ihm erklären? Sie versuchte, ihm den Eindruck eines brodelnden Vulkans zu vermitteln. Ich kann fühlen, was in dir ist. Zorn. Kummer. Es ist sehr turbulent und intensiv, doch ich kann dir sagen, dass du es nicht auf die gleiche Weise fühlst wie ich.
Sein Blick wich nicht von ihrem Gesicht, und sie konnte nicht verhindern, dass sie errötete, weil sie sich ein bisschen wie ein Insekt unter einem Mikroskop vorkam. Offenbar studierte er sie – ein menschliches Exemplar.
»Erzähl mir von deinem Freund Julio!«
Ihr Magen verkrampfte sich. Das könnte ein böses Ende nehmen. Zacarias’ Gesichtsausdruck hatte sich nicht verändert, seine Augen hingegen schon. Es war ein kaum merklicher Unterschied, aber sie konnte seine innere Aufgewühltheit
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