Dunkle Häfen - Band 1
Angespannt beobachtete sie die Männer. Die grinsten.
Einer brüllte: "Was für ein Luxus! Unser eigenes Frauenzimmer an Bord! Hat da nicht jemand Mitgefühl mit uns gehabt, wo wir doch sonst so lange darben müssen?"
Ramis wich angeekelt vor ihm zurück, soweit es ging. Es wäre besser gewesen, nie auf dieses Schiff gegangen zu sein. Mit einer Meute von Piraten auf dem Schiff eingeschlossen... Unter Umständen waren es sogar dieselben, die das Bordell überfallen hatten. Es war recht wahrscheinlich. Ramis stellte sich schützend über Edward, als die Männer den Kreis verengten. Die Alkoholfahnen der Männer trafen sie wie eine Wolke Übelkeit. An ihrer Seite schwankte je ein schartiger Säbel, der die jungen Leute mit einem Schlag zerstückeln konnten. Als der erste Ärmel Ramis streifte, begann sie einen weiteren sinnlosen Kampf.
"Thomas! Grey!" Eine wahrhaft gewaltige Stimme ließ alle innehalten.
Die Angesprochenen ließen Ramis los, die zurücktaumelte.
"Was glotzt ihr denn da? Ihr solltet euch um die Segel kümmern! Sie hängen da wie ein Waschlappen!" , polterte die Stimme weiter.
Murrend kam Bewegung in die Männer und einige trollten sich in Richtung der Masten. Nun hatte Ramis fast freie Sicht auf den Besitzer der Stimme, der sich offenbar seinen Respekt verschaffen konnte. Geradezu schockiert erkannte Ramis, dass es eine Frau war, trotz der rauen Bassstimme. Und was für eine Frau! Ramis hatte noch nie eine so seltsame Angehörige ihres Geschlechts gesehen. Auf einem Wisch brauner, lockiger Haare saß ein ramponierter Filzhut, dessen beste Tage schon lange gezählt waren. Sie trug ein buntes Wams, dessen Spitzen zerfetzt herunterhingen und dazu eine blaue Matrosenhose. Energisch kam die kräftig gebaute Dame auf die Versammlung zu. Ramis war sich nicht sicher, ob sie ihren Augen trauen konnte. Konnte diese Frau der Kapitän einer Horde frauenfeindlicher Piraten sein? Unmöglich. Doch sie schien hier einiges zu sagen haben. Denn die Männer, vorher noch so aufschneiderisch und gefährlich, warteten nun stumm und hätten beinahe an kleine Jungen erinnert, die eine Schelte erwarteten, hätte Ramis nicht gewusst, dass sie das ganz gewiss nicht waren. Stahlharte braune Augen fixierten Ramis, als die imposante Piratin vor ihr stand. Ramis wurde unter dem stechenden Blick unwohl. Sie kam sich auf einmal wie ein Schwächling vor. Unter den zurückgekrempelten Ärmeln der Frau traten deutlich die Muskeln des Armes hervor.
"Thomas!" , fuhr sie den Mann an, der Ramis vorher so verhöhnt hatte und die Initiative ergriffen hatte. "Was macht dieses Weib hier? Und der Junge? Habt ihr unsere Gesetze vergessen? Keine Huren und Lustknaben an Bord!"
Ramis wurde rot vor Zorn angesichts dieser Beleidigung. Bevor sie etwas unternehmen konnte, erwiderte der Mann, den man Thomas nannte:
"Aber Käpt'n! Wir haben dieses Weib doch nicht an Bord gebracht. Sie lag hier einfach rum..."
Die Piratin brach in lautes Gelächter aus.
"So ein Blödsinn ist mir noch nie untergekommen! Hat sie vielleicht ein Engel hier abgelegt, damit ihr euren Gelüsten frönen könnt? Ich warne dich, Thomas, versuche nicht, mich auf den Arm zu nehmen!"
Thomas schüttelte verärgert den Kopf.
"Ich kann nicht sagen, wie sie hierhergekommen ist. Wir haben sie nur gefunden."
Erst jetzt schien man auf die Idee zu kommen, dass Ramis es selbst am besten wissen müsste, wie sie auf das Deck gelangt war.
"Was hast du hier zu suchen?" , wandte die Piratin sich unwirsch an Ramis.
Diese räusperte sich, bevor sie zu sprechen anfing. Ihre Stimme war belegt.
"Wir wollten uns hier verstecken." Sie brach erschrocken ab, als ihr klar wurde, dass sie nicht sagen durfte, dass sie vom Goldenen Drachen kamen.
Wenn es die gleichen Piraten waren, war ihnen ein grausamer Tod beschieden. Auch so standen die Chancen schlecht genug, sie hatte noch nie Gutes von einem Piraten gehört.
" Warum wolltet ihr euch verstecken?"
"Äh, wegen der Krawalle in der Stadt..."
"Ach ja, wir haben es mitbekommen. Das erklärt aber nicht diese Dummheit."
"Wir hatten keine andere Wahl. Wir wurden verfolgt. Der Weg war uns abgeschnitten. Wir konnten nur noch auf dieses Schiff."
Die Piratin musterte sie, wie man einen Irren anschaute.
"Eine schöne Wahl! Was treibt man denn mitten in der Nacht am Hafen, noch dazu mit einem kleinen Jungen?"
"Es tut mir leid, dass wir hier sind. Wir wollten längst wieder weg sein, aber wir sind eingeschlafen. Lasst uns gehen, das würde Euch
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