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Dunkle Häfen - Band 1

Dunkle Häfen - Band 1

Titel: Dunkle Häfen - Band 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elin Hirvi
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mit ihren melancholischen Augen, die oft so weit weg blickten. Für ihn war sie nicht unscheinbar, er hätte sie zwischen Tausenden erkannt. Ihre Schultern, von einer unsichtbaren Last gebeugt, stemmten sich hartnäckig gegen das Gewicht. Er wusste, sie würde ihn nie aufgeben.
     
    Ramis dagegen fühlte sich von der Last erdrückt, sie hielt sie am Boden fest, wo sie immer wieder hinstürzte und nur durch die Hilfe eines anderen kam sie wieder hoch. Manchmal wurde die Last leichter und ließ vergessen, dass es sie gab. Aber sie kehrte stets zurück. Ramis stellte die schweren Eimer ab und sah sich nach Edward um. Er stand direkt hinter ihr. Sie fingen mit dem Arbeiten an und wischten das Deck mit zwei schmutzigen Lappen. Es nahm schrecklich viel Zeit in Anspruch. Ramis wurde zurückversetzt in die Zeit, als sie die blanken Böden von Maple House hatte schrubben müssen. Der harte Steinboden unter ihren Knien, die spottenden Leute... Ihr Rücken schmerzte wegen der gebückten Haltung und ihre Arme, weil sie Eimer für Eimer voll Wasser an einem Seil aus dem Meer ziehen musste. Natürlich half ihnen keiner. Manche sahen mit unverhohlenem Hohn zu. Thomas zog Ramis einmal an den Haaren, als er gerade vorbeikam und lachte. Er erdolchte Edward fast, weil dieser ihm seinem Schmutzlappen um die Ohren schlug. Die Piratin, die sich Bess nannte, machte dem energisch ein Ende und schickte Thomas fort. Dann erließ Bess ihnen das Aufräumen des Quartiers, dafür mussten sie auf dem gesamten Schiff Ratten jagen. Es war eine furchtbare Arbeit, die den restlichen Tag in Anspruch nahm. Sie verirrten sich mehrmals im Innenraum des Schiffes.
    Ramis wusste später nicht mehr, wie sie zu ihren Hängematten zurück gekommen waren. Sie war zum Umfallen müde. Es war auch unmöglich, die kleinen grauen Körper der Ratten zu vergessen, die sie hatte erschlagen müssen. Das schrille Quieken hallte noch in ihren Ohren. Niemand durfte ihre neuerlichen Tränen sehen, die den Leben galten, die sie vernichtet hatte. Wer hätte das schon verstanden? Ein Teil von ihr wunderte sich selbst. Doch es hatte sich etwas geändert. Sie fühlte sich einfach nur noch schwach und traurig.
    Auch in dieser Nacht träumte sie. Sie stand auf einer weiten Ebene und der Boden um sie herum war grau und karg. Da bemerkte sie ein wellenartiges Wabern über den Boden und ihr wurde mit einem Schlag klar, dass es unzählige Rattenleiber waren, die einen dichten grauen Teppich bildeten. Sie schwappten auf Ramis zu und durch sie hindurch. Ramis versuchte, sie mit ihren Händen abzuhalten, aber der Strom war nicht zu bremsen. Die endlose Gleichförmigkeit machte sie ganz wirr.
    Als sie aufwachte, besser gesagt, geweckt wurde war sie erleichtert, dass es nur ein Traum war. Allerdings war es ebenfalls nicht sehr angenehm, weil wie am Tag zuvor ein verschlafener Pirat den Kopf hereinstreckte und brüllte:
    "Aufwachen, ihr Schwächlinge!"
    Er äußerte sich mit einigen Flüchen darüber, dass sie nicht von selbst aufstanden. Ramis traf diese Störung ihrer Intimsphäre an einer empfindlichen Stelle. Sie schätzte es gar nicht, Männer in ihrem Schlafzimmer vorzufinden. Leider würde sich da gar nichts dagegen machen lassen. Sie waren völlig auf das Wohlwollen der Piratin angewiesen, welche Gründe diese auch immer hatte, sie am Leben zu lassen. Ramis konnte sich nur allzu gut ausmalen, was für ein Eindruck man von ihr haben musste, denn sie hatte verlernt, den ganzen Tag harte körperliche Arbeit zu verrichten. Gestern Abend hatte sie gerade noch die Kraft gehabt, in ihre Kabine zu wanken. Jetzt, nach einer kurzen Nacht, fühlte sie sich überhaupt nicht besser. Jeder Muskel schmerzte und die Schwäche saß ihr in den Gliedern. Sie sah, dass es Edward nicht besser erging. Es brach ihr das Herz, seine müden Augen und seine steifen Bewegungen mit ansehen zu müssen. Ihr war klar, dass es so etwas wie ausruhe n für sie nicht geben würde. Ramis fasste einen Entschluss, in ihren Augen der einzig richtige.
    "Edward, du bleibst heute hier!" , befahl sie dem Jungen.
    "Aber..."
    "Keine Widerrede! Du gehorchst und schläfst schön aus, ja?"
    Es war ein sehr verführerischer Gedanke... Ramis dachte daran, dass sie vor ein paar Tagen noch gemütlich am Hafen bei Liam gesessen hatte. Nun war alles verloren. Im Nachhinein hatte sie doch irgendwie gut gehabt in dieser Zeit. Sie war arm gewesen, aber es hatte zum Leben gereicht. Sie hatte Freunde wie Liam - und Lettice - gehabt, die sie

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