Dunkle Häfen - Band 1
Kleidung zerrissen von dem Versuch, Lettice damit zu verbinden. Die vielen Männer warteten gespannt auf die Strafe, mit der man die unwillkommenen Mitfahrer bedenken würde. Doch ihre Befehlshaberin hatte mal wieder andere Pläne. Wieder kam aus den Reihen der Mannschaft ein unwilliges Murren, als sie Piratin ihr Urteil sprach:
"Bringt das Mädchen in meine Kajüte! Der Junge kommt mit!"
Einzelne Stimmen widersprachen. Die Piratin zog kurzerhand ihre Pistole und zielte auf die Aufrührer.
"Ihr geht zurück an die Arbeit! Wird's bald!" , brüllte sie.
Da gehorchte die Mannschaft und verteilte sich auf dem Schiff, um ihre Arbeit wiederaufzunehmen oder aus der Ferne zuzuschauen, wie man Ramis wegtrug, gefolgt von Edward und der Piratin.
Edward hätte um nichts in der Welt zugegeben, wie mulmig ihm zumute war. Er traute der Frau nicht. Sie hatte schließlich reichlich Grund, ihn nicht zu mögen. Die Kajüte war innen recht prächtig eingerichtet, wenn auch nicht sehr geschmackvoll. Die Möbel aus verschiedenen Epochen und in verschiedenen Stilen passten überhaupt nicht zusammen. Ganz entgegen seiner üblichen Vorlieben hatte er gerade kein Auge für die vielen wertvollen Gegenstände im Zimmer, denn er hatte zu viel Angst. Die Piratin wies die Träger an, Ramis auf ihrem Bett abzulegen. Es musste das einzige Bett auf dem Schiff sein, ein großer Luxus. Es war ein umfangreiches Himmelbett, ausgefranste Samtvorhänge mit Goldfäden zierten es. Es stammte wohl von einem sehr erfolgreichen Beutezug. Obwohl es die halbe Kajüte einnahm, war der Raum doch recht geräumig, vor allem im Gegensatz zu den anderen Zimmern. Die Piratin schickte die Männer hinaus, was Edward sehr verunsicherte. Aber sie trat nur zum Bett und blickte auf Ramis herunter. Edward konnte mit ihrem Benehmen nichts anfangen.
"Sie braucht kei nen Arzt, nur ein bisschen Ruhe", meinte die Piratin schließlich. "Du warst dumm, aber auch mutig. Wieso liegt dir so viel an ihr? Ist sie deine Mutter?"
Langsam drehte sie sich zu ihm um. Edward schüttelte stumm den Kopf.
"Ich muss sagen, ihr verwundert mich. Ich hätte euch anders eingeschätzt. Deshalb seid ihr auch noch am Leben – weil ihr mich interessiert. Wir Piraten sind sonst nicht so freundlich. Wie heißt du?"
Edward schwieg trotzig, bis sie ihn warnend noch einmal aufforderte.
"Edward."
"Weiter nichts?"
"Edward Drummond."
Seine Mutter hatte sich Drummond genannt. Er wusste nicht, ob sie wirklich so hieß. Er wusste nicht einmal, woher Lettice stammte. Der Name seines Vaters war es bestimmt nicht, er glaubte nicht, dass er ein eheliches Kind war. Ein Bastard, so nannten ihn die anderen. Er kannte auch seinen Vater nicht.
"Und wer ist sie?" Ein Weisen mit dem Kopf in Ramis Richtung
"Meine Tante."
"Du kommst aus Bristol, deiner Sprache nach. Aus der Gosse. Aber sie, woher kommt sie? Sie hat eine seltsame Art."
"Weiß nicht."
"Lüg nicht!"
"Und wenn es die Wahrheit ist?" Edward biss sich störrisch auf die Lippe.
"Soll ich es aus dir herauspressen?"
"Sie kommt aus London."
Mehr gab es da nicht. Ramis erzählte nie von ihrer Vergangenheit.
"Aha ", meinte die Piratin nur.
Es war offensichtlich, dass sie ihm nicht ganz glaubte. Aber sie ging nicht weiter darauf ein.
"Ich werde euch jetzt alleine lassen. Wenn du was klaust, bist du dran – ich lasse dich durchsuchen, sobald du rauskommst. Es gibt hier keine Verstecke und kein Entkommen."
Edward sah ihr wütend nach, als sie hinaus stapfte und die Tür schloss. In der Tat hatte er eben mit dem Gedanken gespielt... Von irgendetwas musste man ja leben. Er trat zum Bett und fasste nach Ramis Hand. Erschrocken zuckte er zurück, als er damit in Berührung kam, denn sie war eiskalt. Er hatte keine Ahnung, was man tun sollte. Fürsorglich wickelte er sie erst einmal in die Bettdecke ein, um sie zu wärmen. Er setzte sich neben sie und wartete. Als Stunden lang nichts passierte, schlief er letztendlich auch ein.
Jemand stupfte ihn an. Deswegen wurde er schlagartig wach. Aber es war Ramis, die sich inzwischen aufgerichtet hatte.
"Was war mit dir los?" , bestürmte er sie sofort.
"Ich denke, ich habe mich ein wenig übernommen. Es tut mir leid, ich dachte, ich könnte es schaffen."
Als sie feststellte, dass er nur verwirrt die Stirn runzelte, erklärte sie ihm, weshalb sie zusammengebrochen war. Danach musste Edward ihr berichten, was seitdem vorgefallen war – und warum sie in dieser Kajüte lagen. Ramis setzte ein zögerliches Lächeln
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