Dunkle Häfen - Band 1
brach aus. Alles wurde für einen Kampf vorbereitet. Edward war furchtbar zappelig. Er freute sich auf seinen ersten Kampf, beziehungsweise auf sein erstes Zuschauen bei einem Kampf, denn Ramis und Edward würden natürlich nicht mitkämpfen können. Eine Tatsache, die Ramis sehr erleichtert aufnahm. Ihr Schiff, das den pompösen Namen Breeze of Fate – Brise des Verhängnisses – trug, nahm Kurs auf das andere Schiff. Bess stand mit ihrem Fernrohr an der Reling und beobachtete. Die Breeze of Fate , von allen liebevoll nur Fate genannt, war eine stolze Brigantine, ein wendiger und schneller Zweimaster. Dieser Schiffstyp war unter den Piraten der Zeit sehr beliebt, da auf ihm bis zu hundert Mann Platz fanden und er dennoch schnell blieb. Ramis hatte inzwischen festgestellt, dass die Mannschaft zwar nicht aus hundert Mannen bestand, dennoch eine ganz stattliche Ansammlung wilder Piraten war. Die Fate war eine kleine Brigantine, das konnte man am Platzmangel feststellen. Aber sie war ein prächtiges Schiff. Romantische Gemüter mochte sie gewiss zum Träumen anregen. Jemand hatte sich die Mühe gemacht, ihre Seiten mit Schnitzereien und Zierrat zu versehen, was ihr ein edles Aussehen gab.
Dieses Schiff sei das Beste, was einem hätte passieren können, teilte Bess ihr einmal mit.
"Du kannst stolz sein, hier mitzufahren. Das ist das Beste, was die gesamte Karibik zu bieten hat."
Während die Piraten die zwölf Kanonen in Stellung brachten, blickte Ramis zur Galionsfigur, die vor dem Schiff her schwebte. Es war ein Abbild der Glücksgöttin Fortuna, die das Schicksalsrad in den Händen hielt. Ramis fand nicht, dass das eine gute Wahl war. Das Glück war launisch, jeden Moment konnte sich das Rad in die andere Richtung drehen. Doch es war passend. In den Wochen, die sie hier war, hatte sie mitbekommen, wie unsicher das Leben eines Piraten war. Die Männer kannten tausend Schauergeschichten, wie Kameraden von ihnen zu Tode gekommen waren.
Heute war ihr Gegner eine Fleute – was man Ramis natürlich erst sagen musste. Das freute die Piraten, denn dieses Handelsschiff war sehr schwach bewaffnet und meist reich beladen mit Waren. Aus Kostengründen waren Fleuten häufig nur schwach bemannt, eine sehr leichte Beute. Das Schiff fuhr unter französischer Flagge. Ramis betrachtete das Treiben mit gemischten Gefühlen. Einerseits fühlte sie eine erwartungsvolle Aufregung, die sie erstaunte, andererseits befürchtete sie ein Blutvergießen. Der Gedanke an abgeschlagene Köpfe und tiefen Wunden im Körper ließ sie tief im Inneren erschauern, er berührte ihre Ängste aus dem Dunkel der Vergangenheit.
Das andere Schiff signalisierte jetzt. Die Franzosen waren misstrauisch geworden, obwohl die Piraten die englische Flagge gehisst hatten. Der Jolly Roger würde erst zum Vorschein kommen, wenn es zu spät war. Entweder die Gegner fanden die Mannschaft und ihr Treiben verdächtig oder der bevorstehende Krieg machte sie vorsichtig. Die Piraten gaben keine Antwort. Das andere Schiff erkannte seine Unterlegenheit rasch, es wandte sich zur Flucht. Ramis sah, wie sich die Männer etwas zuschrien. Man konnte sie jetzt mit bloßem Auge erkennen, es waren sehr wenige. Bald würden sie in Kanonenschussweite kommen. Sie hatten keine Chance gegen die weitaus zahlreicheren Piraten.
Hinter Ramis brüllte Bess jetzt: "Flagge hissen!"
Die Männer johlten, als sich der Jolly Roger am Mast emporschwang. Zum ersten Mal konnte Ramis nun die Flagge der Fate bewundern. Es war nicht einfach nur immer dasselbe Motiv, das die Piraten auf ihren Flaggen zeigten. Es war auch ein Erkennungszeichen, denn jedes Schiff, das etwas auf sich hielt, hatte ein eigenes Symbol. Gemeinsam war ihnen zumeist jedoch der schwarze Hintergrund und das Symbol des Skeletts. Oft erzählte der Jolly Roger sogar ganze Geschichten. Es sollte dem Gegner Angst machen und ihm zeigen, dass seine Zeit abgelaufen war, denn hier nahte ein ruhmreiches Schiff. Deshalb fand man auch nicht selten die Sanduhr auf den Flaggen. Für die Fate hatte man allerdings etwas Passenderes ausgewählt: Wieder war es das Schicksalsrad, das auf dem schwarzen Tuch prangte. In seiner Mitte war der Totenschädel mit den beiden Knochen. Ramis wusste, sie würde nie Gefallen an dem Schicksalsrad finden. Es zeigte so sehr die Wankelmütigkeit, die Unsicherheit des Lebens. Was heute noch galt, war morgen nicht mehr. Nirgends wurde das deutlicher als auf See.
Die Mannschaft verteilte sich inzwischen an der
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