Dunkle Häfen - Band 1
guter Ort.
"Gehen wir weiter!" , presste ich hervor.
Auch die nächste Etappe war alles andere als angenehm. Ein Schaudern durchlief mich, als die efeuumrankte Mauer in Sicht kam. Edward sah mich an.
"Willst du da wirklich rein?"
Lieber nicht. Ich zögerte, war mir nicht mehr sicher, ob ich wirklich wissen wollte, was vorgefallen war, ob die Wahrheit nicht schrecklicher war als ich es mir vorstellen konnte. Schließlich hielt ich einen Pa ssanten an, einen Mann in einfachen, gedeckten Kleidern.
"Was ist da hinter der Mauer?" , fragte ich ihn.
Der Mann schaute mich an, als wäre ich schon verrückt, mich nur nach dem Haus zu erkundigen.
"Das weiß eigentlich keiner so genau. Es steht schon lange hier. Früher hat dort eine verrückte Alte gelebt. Sie hatte nur eine komische Dienerin bei sich. Man sah die beiden nie. Inzwischen müssten sie lange tot sein. Seitdem steht es leer. Niemand will es, man sagt, dass es dort spukt."
Er machte eine geheimnisvolle Pause, um sich zu überzeugen, dass man ihm angemessen schaudernd zuhörte. Meine Miene muss ihn gewiss entschädigt haben. Mein Herz klopfte so laut, dass man es über Meter hinweg hören musste.
"Es geht das Gerücht um, dass wer dort hinein geht, niemals mehr rauskommt. Tut es besser nicht. Es mag was dran sein an der Geschichte. Ist alles ziemlich komisch. Die Alte war eine sehr feine Dame. Ich weiß nicht einmal, wann sie eigentlich in das Haus eingezogen ist, ich wohne auch erst seit ein paar Jahren hier. Aber sie kam von irgendwo anders her. Ihr muss was Schreckliches zugestoßen sein. Es ist nicht von ungefähr, dass niemand so ein riesiges Anwesen in Besitz nimmt, obwohl es keinem gehört. Die Alte war ganz allein, keine Verwandten oder Freunde, die sie besuchten. Lasst die Finger davon, ihr zwei. Da ist es nicht geheuer, das ist mal sicher."
Mit einem bedeutsamen Nicken verabschiedete er sich. Beklommen starrte ich auf den Ring, den ich unter meinem Hemd hervorholte.
Die Wahrheit lässt sich nicht aufhalten , erinnerte er mich.
Eins wurde mir allerdings klar: Ich würde nicht wieder hineingehen. Was auch immer dort lauerte, es war nicht meine Wahrheit, das alles ging mich nichts an. Nur weil man mir einen Ring gegeben hatte, hieß das noch lange nicht, dass ich mich dort hineinziehen lassen musste. Es war alles Aberglaube. Aber warum warf ich diesen elenden Ring nicht einfach fort? Zurück in das Reich der Geister, wo er herkam? Ganz einfach, weil ich weiß, dass es die Geister gibt und so gibt es auch den Fluch, woher er auch immer kommt. Ich hätte etwas tun sollen, das ist mir klar, man kann nicht mit einem unbekannten Fluch am Hals herumlaufen. Aber ich hatte die Angst nicht vergessen, die aus den Tiefen des Seins kommt. Dort drinnen lauerte etwas Grauenhaftes und ich wollte es nicht wecken. Ich hätte nicht einmal hierher kommen sollen.
Auch Edward wollte wieder gehen und so machten wir uns auf den Weg, um Liam zu suchen. Wir fanden uns noch bestens zurecht und so erreichten wir bald den Markt. Doch an dem Platz, wo immer Liams Stand gewesen war, stand jetzt ein anderer. Ich war mir ganz sicher, dass er hier gestanden hatte. Ich suchte, doch nirgends auf dem Markt konnte ich Liam entdecken. Ich sprach die Händlerin an, deren Stand auf seinem Platz war.
"Könnt Ihr mir vielleicht sagen, wo der Mann ist, der vor Euch seinen Stand hier hatte?"
Die Händlerin runzelte die Stirn und dachte nach.
"Ich bin mir nicht sicher. Wie hieß er? Liam? Ach ja, der Ire! Er ist vor einem Jahr nach Irland zurück. Hat sich hier nie wohl gefühlt, wie die meisten von da drüben."
Ich pflichtete ihr traurig bei. Liam hatte immer Heimweh gehabt. Also war auch er verschwunden.
"Ja, sag mal, kenne ich dich nicht irgendwoher?" , merkte die Händlerin plötzlich auf.
"Nein, das ist unmöglich!" , versicherte ich hastig. "Ich bin nicht von hier."
Ich dankte ihr und entfernte mich, ehe sie mich doch identifizierte. Es war schlimm, immer diese Angst. Überall konnte irgendwer mich erkennen. Sie wollen Vergeltung, aber die bekommen sie schon. Sie liegt in meiner Gehetztheit und meinen Alpträumen. Die Dunkelheit übt Vergeltung, indem sie mich verschlingt und die Schuld erdrückt mich. Es ist ihnen nicht genug, ich muss auch noch mein Leben geben. Erst dann werden sie sagen, der Gerechtigkeit ist genüge getan, alles andere interessiert sie nicht. Was Sir Edward für ein Mensch gewesen ist und warum ich Piratin wurde, das ist alles nicht wichtig. Ich seufzte
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