Dunkle Häfen - Band 1
verstand. Es klang wie ein Hilfeschrei. Sie kämpfte um zwei Leben gegen den Tod, der neben jeder Gebärenden wartete und geduldig am Bett stand.
Die schwarzhaarige Frau schrie auf, als sie in die feuchten Laken gedrückt wurde. Die Rücksichtslosigkeit des Mannes spornte sie nur noch mehr an. Ihr dunkelhäutiger Leib hatte bereits mehr als nur einen blauen Fleck. Sie nahm es in Kauf, nahm seine Wut in Kauf, nur um wenigstens diesen Körper berühren zu können. Sie wusste, was er wollte.
Ramis schrie markerschütternd und ihr Körper wand sich hin und her.
"Da ist der Kopf!" schrie Fanny. "Weiter!"
Nur Edward schwieg erschüttert, als Fanny einen roten Klumpen aus Ramis zog, den sie liebevoll in die Arme nahm. Ramis sackte erschöpft in sich zusammen. Der Klumpen fing an zu schreien.
Nach einem kurzen Moment der Ruhe sprang James auf und ließ die Frau allein zurück. Wie immer war er nachher kaum weniger zornig als zuvor. Sie blickte ihm mit unergründlichen grünen Augen nach, wälzte sich langsam herum. Vielleicht würde er eines Tages bleiben.
Nachdem die Nachgeburt gekommen und die Nabelschnur abgetrennt war, badete Fanny das Neugeborene in einem Kübel mit aufgewärmten Wasser und spülte das Blut ab. Es brüllte aus vollem Halse.
"Ein kleiner Junge ", teilte Fanny mit, während sie das Kind in ein Tuch bettete und es Ramis in die Arme legte.
Betäubt und mit zweifelnder Miene starrte Ramis auf das Bündel in ihren Armen. Edward hinter ihr grinste erleichtert. Er staunte darüber, dass ein so kleines Ding ein Mensch sein sollte. Zögerlich gab Ramis dem Säugling die Brust und zu ihrer Erleichterung saugte er von selbst. Langsam breitete sich ein Strahlen über ihr Gesicht aus. Sie war erschöpft, doch auch so unglaublich leicht und schwerelos. Inzwischen wechselte Fanny geschäftig die blutigen Laken.
Ramis fragte an Edward gewandt:
"Wie sollen wir den Kleinen nennen?"
Edward rutschte nach vorne und schaute auf das Baby herunter.
"William ", schlug er sofort vor.
Ramis runzelte ein wenig die Stirn. "Meinst du?"
Er nickte heftig.
"Ich kannte mal einen alten Mann mit einem lieben Hund, der immer an der Kirche in Bristol saß. Der hieß auch William."
Die Geschichte rührte Ramis und so war sie einverstanden. Obwohl sie immer noch nicht wusste, ob nun der Mann oder der Hund William geheißen hatte.
"Also g ut, dann heißt er jetzt William", ließ sie es dabei bewenden.
Ramis ergriff die Hände von Edward und Fanny und hielt sie fest, bis sie eingeschlafen war.
Logbuch
Herbst/Winter 1704, amerikanische Küste
Es ist unglaublich, wie anstrengend so ein Säugling ist. Ich kann nächtelang kein Auge zutun, weil William ununterbrochen brüllt. Edward ist schon ausgezogen, da er den Lärm nicht mehr ertragen wollte. Und ich? So hatte ich es mir nicht vorgestellt. Von Harmonie spüre ich leider nicht viel. Und gerade jetzt muss ich härter denn je arbeiten, um die Achtung meiner Mannschaft zurückzugewinnen. Meine Augen kann ich kaum offen halten und mein Kopf pocht. Ich habe nun auch etwas ganz Neues zu lernen: Die Pflege eines Säuglings. Ich wusste ja nicht einmal, wie man ein Kind wickelt. Inzwischen haben Fanny und ich uns etwas ausgedacht und eine Windel zusammengebastelt. Schwerer zu verstehen ist die Tatsache, dass William da und ein Teil von mir ist. Noch immer sehe ich William an und kann es nicht glauben. Seine dunkelblauen Augen sehen nur eine kleine Welt und doch scheint ein Mysterium in ihnen zu liegen.
Es ist das Leben, was ich sehe. Die seltenen Momente, wenn alles zur Ruhe kommt und ich jeden Augenblick genieße, machen alle Strapazen wieder wett. Eine kurze Zeit fühle ich mich geborgen im Kreis meiner kleinen Familie. Edward hat William wie einen Bruder akzeptiert und ich bin sehr froh darüber.
Oft dagegen, wenn ich nachts noch wach liege, sieht die Zukunft nicht so einfach aus. Zwar sind wir inzwischen als Kaperschiff eingetragen, doch es ist immer noch nicht einfacher geworden zu überleben. Im Gegenteil, nun müssen wir unsere Beute auch noch mit der Krone teilen. Wenigstens bietet die Gemeinschaft mit den anderen Kaperfahrern eine Art Schutz. Jedoch gehen wir oft unsere eigenen Wege, zu sehr engt das gemeinsame Fahren ein. Ständig die Lagebesprechungen und die Diskussionen, wo soll es hingehen, wer darf das entscheiden? Das ist mir und meinen Piraten zu ermüdend.
Ich mache mir auch Gedanken, welche Zukunft ich William bieten kann. Ein Leben in Gefahr
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