Dunkle Häfen - Band 1
gekommen. Er war ein Bastard. Und in einem Bordell konnte man nicht unschuldig bleiben. Als er noch sehr klein gewesen war, wollte er manchmal zu seiner Mutter rennen, wenn er Angst hatte. Doch er fand sie meistens nackt in Umklammerung mit ungepflegten Männern. Wenn Lettice ihn bemerkte, schickte sie ihn zornig hinaus. Bald kam er nicht mehr. Er begann auf der Straße zu leben und suchte dort die Leere aufzufüllen, die in ihm war. William gab einen weinerlichen Ton von sich. Ihm war kalt geworden. Edward wiegte ihn recht ungeschickt. Er gab sich große Mühe mit seinem kleinen Bruder, den er so gehasst hatte, als er von dessen Existenz erfahren hatte. Es hatte ihn so wütend gemacht, weil er den Gedanken nicht ertrug, dass Ramis mit einem Mann zusammen gewesen war, dass sie dasselbe tat wie seine Mutter. Sie war in seinen Augen unantastbar und keusch. Im Grunde genommen wollte er nicht wissen, wer der Mann war, obwohl er ihn aus tiefstem Herzen hasste. William war eingeschlafen, als Stimmen ihn wieder aufweckten. Sie kamen von der Kajüte und durchdrangen die dunkle Stille. Die Sitzung musste zu Ende sein, da die Männer aufbrachen. In der Dunkelheit konnte Edward Morrey, die Nachtwache, ausmachen. Er kehrte mit dem quengelnden Kind in die Kajüte zurück.
Ramis saß an ihrem Tisch und beugte sich über ein Papier. Sie sah müde aus. Edward trug William zum Bett und legte ihn darauf ab. William gluckste und packte Edwards Hemd. Mit einem Seufzer stand Ramis auf. Sie räumte ihr Zeug weg, danach trat sie zum Bett. Als sie sich bis aufs Hemd ausgezogen hatte, stillte sie noch William. Abgesehen von Gesicht und Unterarmen war ihre Haut milchweiß. William grapschte nach dem Rubin, der an ihrem Hals hing. Er liebte es, mit dem glänzenden Ring zu spielen. Das kommt, weil er auf einem Piratenschiff zur Welt gekommen ist, dachte Edward. Piraten waren verrückt nach Edelsteinen. Er ließ sich neben Ramis aufs Bett fallen und sah zu, wie sie ihr Kind in die Wiege legte, die man aus einem Fass zusammengebastelt hatte. Ramis hatte befürchtet, den Kleinen aus Versehen zu erdrücken, wenn er bei ihnen im Bett schlief. Anschließend kämmte sie ihr Haar. Edward nahm ihr den Kamm ab und zog ihn durch einzelne Strähnen. Er mochte ihr Haar, das so schön weich war. Warum sie es vor eineinhalb Jahren abgeschnitten hatte, hatte er nicht verstanden. Inzwischen war es allerdings wieder nachgewachsen.
"Ich bin müde ", murmelte Ramis. "Es war ein anstrengender Tag heute. Und die Männer hatten so viele Klagen und Sorgen. Weißt du, dass in Greys Bett eine halbverweste Ratte lag?"
Ja, davon hatte er schon gehört, es war das Gesprächsthema des Tages gewesen. Er grinste. Grey stellte daraufhin ausführliche Mutmaßungen darüber an, dass er einen Feind an Bord haben müsse, der ihn fertig machen wolle und darüber, wer dieser sei. Es war allerdings verdächtig, wie das Tier in die Hängematte gekommen war. Jedoch gehörten solche groben Scherze zum Zusammenleben der Piraten und waren oft Auslöser für tödliche Auseinandersetzungen. Wenn man Grey nachgegeben und eine Befragung der Mannschaft durchgeführt hätte, so hätte es unnötige Unruhen ausgelöst. Wegen solch dummer Streiche wollte Ramis keine Kämpfe. Sie schlüpfte unter die Decken und streckte vorsichtig ihr Bein aus, das sie heute Morgen aufgeschrammt hatte. Edward blies die Lampe aus und passte anders als sonst auf, die Matratze nicht so sehr zum Schwanken zu bringen, als er sich hinlegte. Es wurde eine ruhige Nacht, nicht einmal William wachte zwischendurch auf.
Einige Tage später trafen sie einen anderen Freibeuter. Die Sonne schien strahlend hell und das Wasser hatte eine tiefblaue Farbe. Sie sahen das Schiff schon von weitem. Es gab sich rasch als Kaperschiff zu erkennen. Der Kapitän war ein älterer Mann, der müde aussah. Auch seine Mannschaft wirkte sehr resigniert. Der Kapitän war ein alter Bekannter von Bess gewesen, wie er Ramis mitteilte. Er hatte sie auf sein Schiff eingeladen und nach einigen Krügen Rum meinte er zu den Gästen:
"Das macht alles kein Spaß mehr, meint ihr nicht? Die Piraterie ist nicht mehr das, was sie mal war. Kaperflotte? Pah! Ich komme mir vor wie ein Versager. Ich werde die Schifffahrt an den Nagel hängen und mich an Land zur Ruhe setzen. Ich habe keine Kraft mehr, noch einmal neu anzufangen."
Die Endgültigkeit in seiner Stimme verriet, was alle dachten: Eine Epoche war unwiderruflich zu Ende gegangen.
"Außerdem ", so
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