Dunkle Häfen - Band 1
Hofstaat eintrafen.
Gewaltige Berge mit erlesenen Speisen türmten sich auf dem Tisch, so viel, dass man sicher einer ganzen Stadt ein Festmahl hätte geben können, zumindest schien es Ramis so. Das Geschirr und die Tischdekoration waren herrlich anzuschauen. Die silbernen Löffel und das hauchdünne Glas mussten ein Vermögen wert sein. Sie bemerkte die atemlos neugierigen Blicke, mit denen sich die Anwesenden bedachten, auf neuen Klatsch lauerten, um damit einen ungeliebten Feind in Verruf zu bringen. Man versuchte, die zwischenmenschlichen Beziehungen der Männer und Frauen zu ergründen. Die Geladenen setzten sich an ihr Plätze. Ramis merkte erst jetzt, dass sie sich an Sir Edwards Arm klammerte, als er ihr einen amüsierten Blick zuwarf. Schnell ließ sie los. Den Damen mussten die Stühle zurechtgerückt werden. Vom eigentlichen Essen bekam sie wenig mit, ihr war schlecht. Sie befand sich halb im Schlaf, wie in einem Albtraum. Ihr wurde auch bewusst, dass sie keine Ahnung hatte, welches Besteck sie benützen sollte. Das war ein großes Problem und für die Vorspeise nahm sie prompt das falsche. Sir Edward musste ihr das zeigen, indem er leicht mit dem Messer das richtige Besteck antippte. Er war ungehalten über ihr Verhalten, obwohl sie überhaupt nichts dafür konnte. Bei einem Dienstmädchen konnte er doch wohl nicht erwarten, dass es über das höfische Zeremoniell Bescheid wusste, oder? Immerhin hatte er sie ja unbedingt mitnehmen wollen. Wenn jemand sie etwas fragte, antwortete sie automatisch etwas Höfliches und Ausweichendes. Sie hatte von vorhin gelernt.
Das Mahl zog sich endlos in die Länge, auch als man fertig war, blieb man sitzen. Konzentriert beobachtete Ramis eine Fliege, die eifrig auf dem Tisch herumkrabbelte, durch die Essenreste wühlte und ab zu ruckartig aufflog. An ihrem Bein spürte sie plötzlich etwas. Ein Gewicht lag auf ihrem Oberschenkel, das sie als Hand erkannte. Erschrocken starrte sie Sir Edward an. Er schaute nicht einmal in ihre Richtung, sondern unterhielt sich seelenruhig mit seinem Tischnachbar. Die Schamröte stieg ihr in die Wangen, während seine Hand an ihrem Schenkel auf und abwanderte. Unauffällig versuchte sie, zur Seite zu rücken und sich ihm zu entziehen, was ihr einen ärgerlichen Blick ihrer Nachbarin eintrug, die sich von dem Gewinde gestört fühlte. Für einen Augenblick war sie stark versucht, einfach aufzuspringen und zu fliehen, doch damit würde sie alles verlieren. Sie zwang sich, still sitzen zu bleiben. Trotzdem wand sie sich unruhig auf dem Stuhl, bis ihre Nachbarin fragte:
„ Ist Euch nicht gut, Lady Anne? Ihr müsst nur den König um Erlaubnis bitten, Euch zu entfernen.“
Tatsächlich war Ramis bleich geworden, aber sie wi nkte mit gepresster Stimme ab:
„ Vielen Dank, aber es geht mir gut. Ich glaube, es ist nur die Hitze hier drinnen.“
Und die ganze Zeit spürte sie Sir Edwards Hand. Niemand bemerkte ihre Qual. Irgendwann hielt sie es nicht mehr aus und als Sir Edward sich angeregt mit seinem Nachbar unterhielt und sie vergessen zu haben schien, entzog sie sich ihm unauffällig und eilte fluchtartig aus dem Saal. Die Lakaien an der Tür sahen sie kaum an. Es kam öfters vor, dass jemand em schlecht wurde und er auf schnellstem Wege den Saal verließ. Sie dachten nicht daran, sie zu fragen, wohin sie wollte. Erleichtert lief Ramis einfach los. Sie irrte durch die Gänge und wusste bald nicht mehr, wo sie sich befand. Nach sinnloser Suche setzte sie sich einfach auf eine Fensterbank. Das Fenster war offen und herrlich kühle Luft wehte herein. Sie lehnte sich gegen den Rahmen und schloss müde die Augen. Was für ein schrecklicher Abend. Der erfrischende Wind wehte sanft um ihr Gesicht und trocknete ihren feuchten Körper.
"Kann ich Euch irgendwie behilflich sein?"
Die Frage riss sie aus ihrer Gedankenlosig keit. Vor ihr stand ein Lakai.
„ Nein, danke. Ich brauche nur etwas frische Luft.“
Er zögerte kurz, trollte sich dann aber wieder. Die Ruhe legte sich wie ein Mantel über sie und sie wurde sehr müde. Es war ziemlich sinnlos, gegen den Schlaf anzukämpfen und so schlief das Mädchen bald ein. Willenlos rutschte es an der Wand herunter.
Ein unsanfter Stoß ließ Ramis auffahren. Sie schrak hoch und sah Sir Edward über sich aufragen.
„ Was tust du hier?“ , fuhr er sie an. Er klang wütend.
„ Mir ist schlecht geworden.“ Das entsprach auch fast der Wahrheit.
Ungeduldig starrte er sie an.
„ Du darfst dich
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