Dunkle Häfen - Band 1
gewaltigen Prunks nahezu überwältigt. Alles war so kostbar, dass man damit sicher einen ganzen Teil des armen London ernähren hätte können. Es wirkte so ... ja, geradezu verschwendet. Die Menschen, die hier ein und aus gingen, nahmen die Schönheit nicht einmal mehr wahr. Das war der erste Eindruck, den sie von dem Schloss eines Königs hatte und er blieb auch bestehen, je mehr sie davon sah. Die Diener öffneten die wuchtigen Flügeltüren, um sie in einen Saal eintreten zu lassen. Von drinnen schwoll ihnen sofort der fast melodische Chor von vielen Stimmen und Gelächter entgegen.
Ramis sah eine bunte, schillernde Menschenmenge vor sich, als sie die Tür durchschritten. Alles stürmte gleichzeitig auf sie ein und schien sie zu bedrängen und an eine Wand zu pressen. Sie nahm ihre Umgebung erst gar nicht richtig war, sie sah nur das Gewoge vor sich. Beinahe stieg Panik in ihr auf, als gleich mehrere Paare sie umringten und mit Sir Edward reden wollten. Diese Enge beunruhigte sie, ein gab keinen Fluchtweg mehr. Es war mehr ein Instinkt, der sie dazu drängte, wegzulaufen. Manchmal fühlte sie sich eher wie ein Tier, vor allem früher, als sie kein Wort gesprochen und sich ihrer selbst nicht richtig bewusst gewesen war.
Ramis versuchte krampfhaft, ihrem Gesicht einen gelassenen Ausdruck zu geben und nicht mit aufgerissenen Augen um sich zu starren. Ein Ruck an ihrem Arm riss sie aus ihren Bemühungen. Sir Edward unterhielt sich mit einem älteren, gesetzten Mann, der eine ziemlich junge, braunhaarige Frau als Begleitung hatte. Der Mann trug eine graue Perücke, hatte graue Augen und graue, buschige Augenbrauen. Überhaupt war alles grau, bis auf seine Kleidung. Die Frau an seiner Seite hatte ein rotes, recht weit ausgeschnittenes Kleid an und war stark geschminkt. Ihr roter Mund hob sich deutlich von der blassen Haut ab. Ramis betrachtete sie fasziniert. Eine solch seltsame Frau sah man auch nicht alle Tage. Diese wiederum maß sie mit abschätzendem Blick von oben bis unten. Anscheinend wurde sie für zu leicht befunden.
Sir Edward sagte: „ Darf ich vorstellen? Dies ist Lady Anne, meine Nichte vom guten Lande. Sie ist zu Besuch bei uns.“
Ach so, Landadel, sagten die Blicke um sie herum verständnisvoll, weil sie so altmodisch angezogen und steif wie ein Stockfisch war. Ramis fühlte sich verhöhnt, man machte sich auf ihre Kosten lustig. Tatsächlich waren alle Damen hier ganz anders gekleidet als sie. Sie kam sich so fehl am Platze vor. Und sie benahmen sich auch viel zwangsloser als sie. Dann wandten sich die Männer einem Gespräch über die Grippe und die Politik zu. Anscheinend wurde von den Frauen erwartet, dass sie sich miteinander unterhielten. Ramis fiel nichts ein, also sagte sie das Erstb este, was ihr in den Kopf kam.
„ Mögt Ihr Tiere, Mylady? Ich habe eine Katze zuhause.“
Die Lady starrte sie fassungslos an und öffnete gerade den Mund, um etwas zu sagen, als die beiden Herren sich irritiert zu ihnen drehten. Sie musste wohl zu laut gesprochen haben. Sir Edward warf ihr einen verärgerten Blick zu und begrüßte dann einen weiteren Mann, der sich zu ihnen gesellte. Von nun an schwieg Ramis, doch sie spürte den Spott, den die Lady ihr zukommen ließ. Die Gespräche fanden ein unerwartetes Ende und im Saal wurde es still.
In di e Ruhe hinein rief ein Herold:
„ Ihre Majestäten, König William und Königin Mary!“
Aller Augen richteten sich gewohnheitsmäßig auf die Monarchen und man bildete eine Gasse, um ihnen den Weg zum Thron freizumachen. Ramis musterte das Paar verstohlen. Die Königin war eine recht hübsche Frau mit dunklen Haaren. Sie trug ein sehr prächtiges Kleid mit ausladenden Ärmeln. Eine echte Stuart, wie ihr die Köchin einmal mitgeteilt hatte, nur eine protestantische. Im Gegensatz zu ihrem Vater, dem Exilkönig James II, war sie eine gute Protestantin , wie die Köchin stets betonte. Ihr Mann, König William III, war ein streng aussehender, hagerer Mensch, der einen ganz leichten Buckel hatte. Doch nicht das war es, was in Ramis sofort eine gewisse Abneigung auslöste. Sie konnte nicht sagen, woran es lag. Er machte vielleicht keinen einnehmenden Eindruck, aber es musste einen anderen Grund geben. Zudem war die Abneigung schon da gewesen, bevor sie ihn gesehen hatte, das spürte sie.
Als sich das Königspaar gesetzt hatte, begann eine Zeremonie, zumindest hielt Ramis es für eine. Die wichtigen Leute traten vor den Thron, um ihre Anwesenheit zu zeigen. Auch
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