Dunkle Häfen - Band 1
sein, die ganze alte Dienerschaft von Maple House und sie am Galgen wiedererkennen. Dieses Ende hatten das Schicksal und Fayford ihr also zugedacht.
"Habt Ihr Familie?" , fragte der junge Mann teilnahmsvoll, als er ihre Betroffenheit spürte.
Ramis nickte. "Zwei Söhne und eine alte Mutter in London."
Oh Martha, was tue ich dir an? Lebst du überhaupt noch, um diese Schmach mitzuerleben? Oder hast du mich verraten, indem du alles Fayford erzählt hast, jede schreckliche Demütigung? Warum hast du das getan? Wusstest du nicht, was er mir damit antun kann? Vielleicht wurdest du aber auch gezwungen oder er hat nur gelogen, um mich zu treffen... Verzeih mir, wenn ich dir Unrecht tue, doch ich kann die Gedanken nicht abwehren. Ich wünschte, ich könnte dich sehen, mit dir sprechen... Aber wir werden uns wohl erst beim Galgen wiedersehen, falls überhaupt.
"Das tut mir leid."
Die Ehrlichkeit und Aufrichtigkeit taten ihr gut, seine Anteilnahme tröstete und das Gespräch mit ihm lenkte sie ab.
"Bist du verheiratet?" , wollte sie ihrerseits wissen.
"Nein, zumindest jetzt noch ni cht. Ich bin verliebt", erzählte er mit großem Stolz. "Sie heißt Minerva."
"Und sie ist ein liebes Mädchen?"
Erfreut bejahte er. Ramis war erstaunt, welche Herzlichkeit er in ihr weckte, obwohl sie ihn gar nicht kannte. Doch er war so durchschaubar wie Glas, ohne Falschheit. Jemand riss die Tür auf.
"He Junge! Wo bleibst du?" , herrschte der Störer, ein Matrose, den jungen Mann an.
Als er ihn auf dem Boden bei Ramis entdeckte, grinste er.
"Na, hat sie dich schon verzaubert? Wir haben dich doch gewarnt, sie ist eine Hexe! Ehe du dich versiehst, hat sie dich aufs Kreuz gelegt!"
Er lachte dreckig und der junge Mann sprang mit hochrotem Gesicht auf und verließ den Raum.
"Vielleicht verzaubere ich ja dich in eine Kröte!" , zischte Ramis dem ungehobelten Matrosen ins Gesicht.
Er zeigte ihr seine Seemännerzähne.
"Könntest mich auch anderweitig verzaubern! Habe gehört, Hexen sollen gut im Bett sein. Hat uns aber der Herr verboten. Schade, was? Will wohl selber ran!"
Ramis fluchte ihm hinterher, wie sie es bei den Piraten gelernt hatte. Dann wurde es wieder dunkel und still um sie herum. Die Laterne hatten sie logischerweise nicht dagelassen, sie hätte sie ja umstoßen können.
Die letzten Tage meines Lebens werde ich in der Dunkelheit verbringen, erst am Tage meiner Hinrichtung werde ich wieder im Licht sein.
Das machte Ramis sehr traurig, auf einmal schienen ihre dreißig Jahre viel zu wenig sein und sie noch viel zu jung zum Sterben. Und das Schlimmste war, dass sie ihre Lieben niemals wieder sehen würde, sie wussten nicht einmal, was mit Ramis geschehen war - soweit sie selbst noch lebten. Waren das die Gedanken, die sich jeder Todgeweihte machte? Tröstend räkelte sich die Dunkelheit um Ramis herum, flüsterte ihr schmeichlerisch ins Ohr. Wenn sie sich ihr ergab, würde der Schmerz erträglicher werden... Aber die Piratin würde bald vor einem anderen Gericht als dem menschlichen stehen und vielleicht, vielleicht hatte man ihr verziehen.
Ab und zu durchbrach der junge Mann die Zeit der Finsternis, indem er Ramis Essen und Trinken brachte. Ein Lichtblick, im wahrsten Sinne des Wortes, hatte er doch immer eine Laterne bei sich. Nur er und sein Licht machten es Ramis hier erträglich, ansonsten hätten ihre Grübeleien sie erstickt. Der junge Mann verlor einen Teil seiner Scheu vor ihr und sprach gerne von sich. Ramis erfuhr, dass er der Sohn einer Schreiners war und das fünfte Kind von acht, weshalb er zur See gegangen war. Doch es sei ein verdammt harter Beruf, wie sie ja sicher wisse, seelisch und körperlich ermüdend. Von seiner Minerva konnte er gar nicht genug erzählen, es war klar, wie sehr er sie verehrte und Ramis konnte sich nicht des Eindrucks erwehren, dass er seiner Zukünftigen sicher nicht wehtun wollte, wie sie es für unumgänglich hielt. Aber er hatte davon wohl selbst keine rechte Ahnung. Ramis erzählte ziemlich wenig von sich, nur manchmal gab sie Geschichten aus dem Piratenleben zum Besten, während der Wind sie immer näher an Europa heran blies, das sie nie wieder verlassen würde.
Jeden Abend betete Ramis um Rettung, doch wer hätte ihr jetzt noch helfen können? Sie war hoffnungslos verloren. Sie achtete bald nicht mehr auf den Unterschied zwischen Tag und Nacht, schließlich war es immer dunkel. Einmal wurde sie jedoch plötzlich wach, dieses Mal gab es kein Dämmern im Halbschlaf. Sie
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